Artikel

Lernen durch Engagement im Atert Lycée Réiden: Schule öffnen und gesellschaftliches Engagement in der Klasse fördern

Seit einigen Jahren werden im Atert Lycée Réiden Projekte nach der Methode „Lernen durch Engagement“ (LdE) durchgeführt. Die Schulgemeinschaft und ihr soziales Umfeld profitieren davon, Schule und Unterricht auf diese Weise zu öffnen und gesellschaftliches Engagement im Klassenverband zu fördern.

  • Schüler*innen setzen sich im Unterricht mit dem Thema Arbeit und Beschäftigung in Luxemburg auseinander. Parallel dazu engagieren sie sich für das Museum der alten Berufe in Beckerich, indem sie zusammen mit Senior*innen aus der Gemeinde die Neuorganisierung des Museums planen.
  • Schüler*innen analysieren die Bedeutung der Nachhaltigkeit für die zukünftige wirtschaftliche Strukturpolitik des Landes und engagieren sich für das unmittelbar neben der Schule liegende Äerdschëff, ein Laboratorium, um klimaneutral und ressourceschonend zu leben.
  • Schüler*innen beschäftigen sich mit dem Thema „Frauenarbeit und Frauenrechte“ und organisieren Gesprächsrunden mit dem Schwerpunkt „Frauen – früher, heute und morgen“ mit Seniorinnen aus dem Altersheim der gleichen Gemeinde.

Dies sind drei unterschiedliche Projekte aus dem Atert Lycée Réiden (ALR), die nach der Methode „Lernen durch Engagement“ (LdE) durchgeführt wurden.

Lernen durch Engagement im Überblick

Lernen durch Engagement ist eine Lehrund Lernform, die gesellschaftliches Engagement von Kindern und Jugendlichen mit fachlichem und überfachlichem Lernen in der Schule verbindet. Die Methode hat zwei Hauptziele1: die Stärkung von Demokratie und Zivilgesellschaft sowie die Veränderung von Unterricht und Lernkultur: Schüler *innen lernen Wissen praktischer anzuwenden und erkennen den Sinn schulischen Lernens.

Lernen durch Engagement ist ein Baustein der Demokratiepädagogik und basiert auf den Ideen des amerikanischen Bildungsphilosophen John Dewey (1859-1952). Es wurde über Jahrzehnte hinweg im angelsächsischen Raum unter dem Namen Service- Learning erprobt und weiterentwickelt und wird in den europäischen Ländern seit 2001 umgesetzt.

Damit „Lernen durch Engagement“-Projekte gelingen, wurden auf der Basis von jahrelangen Erfahrungen international anerkannte Standards erstellt. Sie helfen bei der Entwicklung und Umsetzung der Projekte. Hier unterscheidet man sechs Standards2:

  1. Curriculare Anbindung: LdE stellt keine vom Unterricht losgelöste Aktivität der Klasse dar, sondern ist ein Bestandteil des Unterrichts.
  2. Realer Bedarf: LdE reagiert auf echte Herausforderungen im Umfeld der Schüler*innen (z. B. im Stadtteil).
  3. Schülerpartizipation: Die Schüler*innen sind an der Planung, Vorbereitung und Umsetzung des LdE-Projektes aktiv beteiligt.
  4. Außerschulische*r Engagementpartner*in: Das praktische Engagement findet außerhalb der Schule sowie als Zusammenarbeit zwischen den Lernenden und Partnerorganisationen statt.
  5. Reflexion: Die Erfahrungen der Schüler* innen werden durch den gezielten Einsatz von Reflexionsmethoden regelmäßig evaluiert.
  6. Abschluss und Anerkennung: Das Engagement und die Leistungen der Schüler* innen werden durch ein regelmäßig durchgeführtes Feedback während des gesamten Prozesses und bei einer abschließenden Veranstaltung gewürdigt.

Die sechs LdE-Standards belegen, dass Lernen durch Engagement sowohl über reine Projektarbeit als auch über reines ehrenamtliches Wirken hinausgeht: die Schülerpartizipation, die Verknüpfung mit Lerninhalten, die Reflexion auf allen Ebenen und in allen Phasen des Projektes, der reale Bedarf, die Zusammenarbeit mit einem Engagementpartner und somit die Öffnung der Schule machen aus LdE ein komplexes, innovatives, integratives und demokratisches Lernsetting.

Im Atert Lycée Redange haben wir Lernen durch Engagement seit vier Jahren in verschiedenen Klassen und Bildungsgängen erprobt und Folgendes festgestellt.

Schule öffnen durch die Erkundung des Lebensraums

Partizipation ist ein Schlüsselelement, um Jugendliche zu einer Teilnahme an einem Engagementprojekt zu bewegen. Die Schüler*innen erleben hierbei ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit, da sie die Gestaltung ihrer sozialen Situation beeinflussen können und dadurch den Wert des zivilgesellschaftlichen Engagements kennenlernen. Im ALR werden Jugendliche somit zu Mitgestalter*innen ihres Lebensraums. Doch welchen Bedarf hat dieser Raum? Wie sieht die Welt außerhalb des Mikrokosmos Schule überhaupt aus?

Wir haben festgestellt, dass solche Stadterkundungen sinnvoll sind und sich positiv auf die Projektdefinition und den Projektverlauf auswirken. Sie können unterschiedlich und sehr kreativ gestaltet werden3. Die Schüler*innen der 2GCG entschieden sich nach einer solchen Raumerkundung für eine Zusammenarbeit mit dem Äerdschëff, ein Gebäudeprojekt, das dabei ist in unmittelbarer Nähe der Schule aufgebaut zu werden.

Schule öffnen durch die Zusammenarbeit mit Engagementpartner*innen

Passende, kooperierende Engagementpartner* innen sind ohne Zweifel wesentliche Faktoren für das Gelingen eines LdE-Projekts. Wir haben bei unseren ersten LdE-Erfahrungen erlebt, dass die Schüler*innen oft viel Geduld und persönliches Engagement brauchen, um die/den richtige/n Engagementpartner* in zu finden. In diesem Sinne mussten wir die Schüler*innen bei der Suche nach dem/der geeigneten Engagementpartner* in eng begleiten und öfters nachhaken. Unterstützend haben wir während dieser Schlüsselphase mehrmals ein gemeinsames Brainstorming mit anschließender Auswertung eingesetzt.

Schüler*innen berichten, dass die Kontaktaufnahme mit möglichen Engagementpartner* innen eine große Herausforderung für sie bedeutet, da sie hier den „Schutzraum Schule“ und ihre eigene Komfortzone verlassen. Die Kontaktaufnahme – über Telefon, E-Mail oder die direkte Ansprache – ,die Erwachsene in ihrem Alltag als selbstverständlich betrachten, erfordert bei jungen Menschen oftmals Überwindung und Ermutigung.

Wir mussten auch erleben, dass die Suche nach einer/einem Engagementpartner*in nicht immer erfolgreich endet. Wir haben dies trotzdem keineswegs als Misserfolg betrachtet, sondern kreativ darauf reagiert und sinnvolle Alternativen vorgeschlagen. So blieb zum Beispiel der Kontakt einer Schüler*innengruppe zu einer Obdachlosenorganisation oberflächlich und verlief schlussendlich im Sand. Diese Gruppe entschied sich dann zu einer Zusammenarbeit mit der Classe d’insertion pour jeunes adultes (CLIJA+) des ALR und realisierte mit dieser ein sehr interessantes interkulturelles Projekt.

Der Austausch mit dem außerschulischen Partner als Kompetenzerwerb

Sind die Kooperationspartner*innen erst gefunden, ist es äußerst wichtig, dass die Schüler*innen ihre eigenen Ideen mit den reellen Bedürfnissen der Engagementpartner* innen abstimmen. Auch dies hat sich für die betroffenen Schüler*innen nicht immer als einfach erwiesen. Doch die Kommunikation und die Abstimmung mit externen Partner*innen dienen auch dem Kompetenzerwerb. In diesem Sinne haben uns die Schüler*innen zurückgemeldet, dass sie ihr Selbstbewusstsein, ihre Argumentationsfähigkeit und ihre Überzeugungskraft durch solche Kontakte verbessern konnten. Darüber hinaus trainierten sie Kompromissbereitschaft und Frustrationstoleranz, da Kommunikation und Abstimmung oftmals Geduld und Aushandlungsvermögen erfordern.

Ein Zusammenkommen aller Akteur*innen durch Wertschätzung am Projektende

Auch für den LdE-Standard des feierlichen Zusammenkommens und der Anerkennung am Ende eines Projektes haben wir genug Zeit eingeplant.

Sehr positive Erfahrungen haben wir so bei dem Projekt „Museum von Berufen und Handwerk von früher“, eine Zusammenarbeit mit der Millen Asbl aus Beckerich, gemacht. Die Schüler*innen hatten die Gelegenheit, ihr Engagement für das Museum vor einem großen Publikum der Region vorzustellen. Sämtliche Akteur*innen aus Politik und der Zivilgesellschaft waren anwesend und unser Beitrag wurde als äußerst positiv aufgenommen. Die Schüler*innen stärkten durch die Erfahrung sowie das Lob ihr Selbstbewusstsein und die Schulleitung und auch wir Lehrer* innen konnten wertvolle Beziehungsarbeit leisten.

Zu erwähnen, ist hier auch die Abschiedsfeier nach einer Zusammenarbeit mit einem Altersheim: Das Atert Lycée Réiden öffnete sich real und wir empfingen Senior*innen. Nach einem gemeinsamen gemütlichen Frühstück zeigten die Schüler* innen diesen das Schulgebäude.

Offene Schulen und langfristige Partnerschaften

Unsere LdE-Praxis hat uns des Weiteren gelehrt, dass die Aufstellung einer Liste mit wertvollen Engagementpartner*innen sinnvoll ist für Lehrkräfte, die Schulleitung sowie die ganze Schulgemeinschaft. Diese dient nicht nur der Dokumentation gemachter Erfahrungen, sondern auch der Vernetzung der Schule im nahen Umfeld sowie der langfristigen Zusammenarbeit mit externen Partner*innen.

Schlussendlich haben wir festgestellt, dass das Konzept der offenen Schule sowie stabile Partnerkooperationen sich nachweislich positiv auf die Verwurzelung des Atert Lycée Réiden in der Region auswirken und sowohl schulischen als auch außerschulischen Akteur*innen dienen.

 


1 Anne Seifert, Sandra Zentner, Franziska Nagy (2019): Praxisbuch Service-Learning. Weinheim und Basel: Beltz Verlag, S. 13.

2 Ebd., S. 14.

3 #stadtsache. URL: www.stadtsache.de.





Manou Worré

ist Lehrerin für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften am Atert Lycée Réiden und Mitarbeiterin im Consulting-Team des Zentrum fir politesch Bildung. Einer ihrer Arbeitsschwerpunkte ist Lernen durch Engagement.

Autor*in(nen):

Manou Worré (2022)

Titel:

Lernen durch Engagement im Atert Lycée Réiden: Schule öffnen und gesellschaftliches Engagement in der Klasse fördern

Erschienen in Ausgabe:

7 / 2022 - Schule öffnen und vernetzen, S. 11-13.

Stichwörter:
Zitiervorschlag:
Manou Worré (2022) : Lernen durch Engagement im Atert Lycée Réiden: Schule öffnen und gesellschaftliches Engagement in der Klasse fördern, in: mateneen 7 / 2022 - Schule öffnen und vernetzen , S. 11-13. Online unter: https://doi.org/10.25353/ubtr-made-0728-550a