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Konflikte analysieren und verstehen lernen
Der Praxisbeitrag stellt zentrale Analysemethoden vor, die in unterschiedlichen Unterrichtsfächern angewendet werden können, aber auch bei der Reflexion eigener Konflikte in der Familie, der Klasse oder Schulgemeinschaft unterstützen.
Konflikte zu analysieren ist eine Aufgabe, die sich in privaten, schulischen und gesellschaftlichen Situationen ebenso stellt wie in vielen Unterrichtsfächern. Im Literaturunterricht gilt es, den Konflikt der Heldin im Drama oder Roman zu erschließen. In den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern müssen politische oder historische Konfliktlagen untersucht werden und in den Fächern Ethik, Philosophie oder Vie et Société stellen soziale Dilemmata und zwischenmenschliche Streitfälle häufige Unterrichtsgegenstände dar. Einfache Modelle und Methoden können Schüler*innen dabei unterstützen, die verschiedenen Situationen zielgerichtet, differenziert und multiperspektivisch zu erschließen. Sie lassen sich flexibel auf eigene Fallbeispiele übertragen und stärken so grundlegende Konflikt- und Handlungskompetenzen von Kindern und Jugendlichen.
Die Spinnweb-Analyse bildet eine einfache Form, das Geschehene, die Beteiligten, ihre Motivlagen und Interessen nachzuvollziehen. Sie hilft Schüler*innen dabei, Perspektivwechsel einzunehmen und die Hintergründe zu beleuchten, die das Konfliktverhalten von Personen erklären können.
Letzteres lässt sich zudem gut mit dem sogenannten Eisbergmodell reflektieren. Es überträgt das Phänomen, dass bei einem im Wasser schwimmenden Eisberg nur die Spitze zu sehen ist, das meiste aber unter der Wasseroberfläche im Verborgenen liegt, auf Konflikt- und Kommunikationssituationen. Sichtbar im Konflikt sind das konkrete Verhalten, die Körpersprache und die formulierten Aussagen. Unter der Wasseroberfläche liegen dagegen die Gefühle, Interessen und Wünsche, die Werthaltungen, Erfahrungen und Bedürfnisse, die das äußere Verhalten prägen. Indem Schüler*innen die verborgenen Motive ergründen, kann das Verständnis für eine Person und ihr Verhalten wachsen und nach Lösungsansätzen gesucht werden.
Um konkrete Kommunikationssituationen zu analysieren bietet sich dagegen das Vier-Ohren-Modell des Hamburger Psychologen Friedemann Schulz von Thun an.1 Er geht davon aus, dass jede Aussage neben einem Sachaspekt immer auch einen Appell intendiert, eine Selbstaussage des Sprechenden beinhaltet und einen Beziehungsaspekt offenbart – jede Aussage mithin auf einer der vier Dimensionen gehört werden kann. Missverständnisse und Konflikte können entstehen, wenn Personen Aussagen auf unterschiedlichen „Ohren“ hören. Mit dieser Übung können Schüler*innen trainieren, gezielt die unterschiedlichen Botschaften einer Nachricht auf allen vier Ebenen zu entschlüsseln und durch entsprechend differenzierte Reaktionen Konflikte zu deeskalieren.
Für die Analyse eines Konfliktverlaufs hat der Wiener Konfliktforscher Friedrich Glasl ein Modell der Konflikteskalation entwickelt, das sich auch gut mit Schüler*innen einsetzen lässt.2 Er geht von einem drei Phasen umfassenden Verlauf aus, den er in neun Stufen unterteilt. Die erste Phase, in der noch ein Ausgang möglich ist, in dem beide Streitparteien gewinnen können, zeichnet sich durch eine zunehmende Verhärtung, Polemik und abnehmende Empathie aus. Im Laufe der zweiten Phase spitzt sich der Konflikt zu und das Gleichgewicht zwischen den Parteien geht verloren. Es werden Koalitionen gebildet, Vertrauen wird zerstört und Gesichtsverlust droht. In der dritten Phase können die Konfliktbeteiligten schließlich nicht mehr gewinnen und versuchen, die gegnerische Partei systematisch zu schädigen. Das Modell bietet die Chance, Interventionsstrategien gezielt an die Eskalationsstufen anzupassen. Während in den ersten drei Entwicklungsstufen eine Moderation von außen – im schulischen Kontext beispielsweise durch Mitschüler*innen oder eine Lehrkraft – ausreicht, erfordern die folgenden Stufen gezielte Maßnahmen der Peer-Mediation oder Prozessbegleitung durch schulische Sozialpädagog*innen. In der dritten Phase ist dagegen ein sanktionierender Eingriff seitens der Schulleitung notwendig, um Konfliktparteien und -beteiligte zu schützen. Mit diesem Modell können Schüler*innen einen konkreten Konfliktfall in seiner Eskalation nachvollziehen und über mögliche Strategien zur frühzeitigen Deeskalation nachdenken.3
Ein komplexes Verfahren zur Analyse politischer Konflikte hat schließlich der Göttinger Erziehungswissenschaftler Hermann Giesecke entwickelt.4 Mit Hilfe unterschiedlicher Kategorien, die er in Form von Leitfragen formuliert, kann ein Streitfall in seinen rechtlichen, historischen und politischen Dimensionen erschlossen werden. Schüler*innen erhalten so ein Handwerkszeug, mit dem sie systematisch die Komplexität politischer Konfliktlagen ergründen können.
1 Vgl. Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden 1-4. Reinbek bei Hamburg, 2023.
2 Vgl. Friedrich Glasl: Konfliktmanagement. Diagnose und Behandlung von Konflikten in Organisationen. Bern/Stuttgart, 1980.
3 Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit Konfliktverläufen bietet sich der Spielfilm The War of the Roses (USA, 1989) an, in dem sich die einzelnen Eskalationsstufen detailliert mitverfolgen lassen.
4 Vgl. Hermann Giesecke: Didaktik der Politischen Bildung. München, 1965.
Karl Schulz
Autor*in(nen):
Karl Schulz (2023)
Titel:
Konflikte analysieren und verstehen lernen
Erschienen in Ausgabe:
8 / 2023 - Konflikte bearbeiten, S. 19-21.