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Leistungsbewertung partizipativ gestalten
Bewertungsprozesse in der Schule als Möglichkeit nutzen, um Schüler*innen bei der realistischen Einschätzung und Weiterentwicklung ihrer Lernprozesse und ihres Lernverhaltens zu unterstützen: Die partizipative Leistungsbewertung bietet verschiedene praxisnahe Ansätze zur Förderung von Lernmotivation, Selbstreflexion und demokratischem Verständnis.
Leistungsbewertung und Notenvergabe gelten als zentrale Aufgabe von Lehrenden, die häufig sehr zensurenorientiert gestaltet werden. Doch Schüler*innen können demokratisch an diesen Aufgaben beteiligt werden, da sie selbst ihren aktuellen Lernstand am besten kennen, wissen, wo sie noch Unterstützung beim Lernen benötigen und nach entsprechender Anleitung ein sehr gutes Gespür zur Einschätzung ihrer eigenen Leistungen entwickeln können. Die Beteiligung von Schüler*innen an der Lernstandsbeurteilung kann dabei mehrere positive Effekte auf das individuelle Lernverhalten, die Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden und auf die generelle Lern- und Arbeitsatmosphäre in der Klasse haben:
- Schüler*innen können durch die Mitarbeit in der Leistungsbewertung wichtige Kompetenzen wie Selbsteinschätzung, kritische Reflexion und das Setzen und Erreichen eigener Lernziele entwickeln und festigen.
- Schüler*innen können Beurteilungen und Noten besser nachvollziehen und auch besser annehmen, wenn sie am Bewertungsprozess beteiligt werden, auch wenn die Lehrkraft die letztliche Notenentscheidung fällt.
- Schüler*innen werden darin bestärkt, größere Eigenverantwortung für ihr eigenes Lernverhalten und das ihrer Lerngruppe zu übernehmen.
- Die Notenfindung für Gruppenarbeiten oder Arbeitsprozesse wird transparenter und gerechter, wenn die betreffenden Schüler*innen selbst zur Bewertung beitragen, da die Lehrkraft ansonsten allein aus der Außenperspektive und anhand des vorliegenden Ergebnisses die Gruppenleistungen bewertet, ohne interne Dynamiken und ungleich verteilte Arbeitsanteile berücksichtigen zu können.
- Mittelfristig stärken die Mechanismen der partizipativen Leistungsbewertung ein offeneres Lernklima und somit nachgewiesenermaßen die Schülerzufriedenheit.
Zentral für ein funktionierendes System der Integration von Lehrenden- und Lernendenperspektiven bei der Leistungsbewertung ist es, die Bewertungskriterien und die dazugehörenden Partizipationsmöglichkeiten offen und transparent zu gestalten, um eine vertrauensvolle und für die Schüler*innen nachvollziehbare Grundlage der späteren Beurteilung zu schaffen.1 Hierzu können zu Beginn eines Schuljahres oder einer Lerneinheit die Kriterien gemeinsam mit den Schüler*innen erarbeitet und sichtbar im Klassenraum dokumentiert werden: Was sind die Lernziele, welche Möglichkeiten der Erarbeitung gibt es, welche Regeln wollen wir uns als Gruppe für die Arbeit im Unterricht geben und wie sieht gute Mitarbeit aus? Außerdem sollte gemeinsam diskutiert und festgelegt werden, in welchen Abstufungen die Leistungen im Unterricht und in Lernprodukten einzuordnen sind, um eine Orientierung hinsichtlich von Leistungsunterschieden und daraus resultierender Bewertungen zu geben.
Parallel zu den klassenweit gültigen Bewertungskriterien können mit den einzelnen Schüler*innen individuelle Lernziele erarbeitet werden, wobei Lernfortschritte und -hemmnisse von den Schüler*innen eigenverantwortlich in Lerntagebüchern oder Portfolios festgehalten und somit später in Feedback- und Beurteilungsgesprächen als Gesprächsgrundlage genutzt werden können. Als Basis für gemeinsame Beurteilungsgespräche eignen sich beispielsweise auf Alter, Fach und Kompetenzstand der Schüler*innen abgestimmte Selbstbeurteilungsbögen, in denen diese ihre Mitarbeit, ihre Lernfortschritte und ihr Arbeits- und Sozialverhalten anhand verschiedener Aspekte selbst einschätzen. Ergänzend dazu können, insbesondere für Partner- oder Gruppenprojekte sowie hinsichtlich des Arbeitsund Sozialverhaltens in der Klasse, auch Feedback-Fragebögen durch Mitschüler* innen ausgefüllt werden. Schüler*innen üben auf diese Weise, sich ehrlich selbst mit ihren Leistungen auseinanderzusetzen und diese Selbstwahrnehmung mit der Fremdwahrnehmung seitens Lehrkräften, Mitschüler*innen oder auch Eltern abzugleichen.
In der Erfahrung zeigt sich, dass die regelmäßige und ernsthafte Beteiligung von Schüler*innen an der Notenfindung und den damit einhergehenden Beurteilungsprozessen mittel- und längerfristig dazu führt, dass die Lernenden zum einen selbstreflexiver agieren und Vertrauen in ihre eigenen Einschätzungen entwickeln. Zum anderen fühlen sie sich von den partizipationsfördernden Lehrkräften ernster genommen und empfinden die erfahrene Verlässlichkeit gemeinsam erarbeiteter und in der Bewertung durch sie und die Lehrkräfte gleichermaßen eingehaltener Kriterien sowie die in die Bewertung einfließenden Selbstbeurteilungen als vertrauensfördernd. Der Bewertungsprozess erscheint ihnen transparenter und nachvollziehbarer, während eine respektvolle Feedbackkultur innerhalb der Klasse oder Lerngruppe zudem als förderlich für ein rücksichtsvolleres und offeneres Miteinander empfunden wird.
Für die Lehrkräfte ergibt sich mithin die Möglichkeit, nach einer Einführungs- und Übungsphase der Anwendung partizipativer Leistungsbewertung, aktiv wichtige demokratische und reflexive Kompetenzen der Schüler*innen zu fördern und zudem eine gesteigerte Akzeptanz von Noten und Bewertungen zu erreichen.
1 Vgl. Silvia-Iris Beutel/Wolfgang Beutel (Hg.) (2014): Individuelle Lernbegleitung und Leistungsbeurteilung. Lernförderung und Schulqualität an Schulen des Deutschen Schulpreises. Schwalbach/Taunus: Wochenschau-Verlag.
Checkliste
Partizipative Leistungsbewertung
Ziel
Schüler*innen aktiv am Prozess der Leistungsbewertung beteiligen und dadurch Selbstreflexion und demokratische Unterrichtsgestaltung fördern.
Zielgruppe
Jede Art von Lerngruppe oder Schulklasse.
Dauer
Idealerweise für die Dauer eines Schuljahres, um längerfristige Erfolge zu zeigen, kann aber auch für einzelne Unterrichtsreihen angewendet werden.
Vorgehen
- Festlegen gemeinsamer Bewertungskriterien und Erwartungen durch Lehrkräfte und Schüler*innen.
- Regelmäßiger Einsatz von individuellen Selbstbeurteilungsund Feedbackbögen.
- Feedbackgespräche der Lehrkraft mit der Lerngruppe als Ganzes über den Verlauf der Lerneinheit sowie individuelle Einschätzungsgespräche zu Leistung und Lernstand mit den Schüler*innen.
- Festlegung und Kommunizieren der Bewertung durch die Lehrkraft auf Basis der vorgenannten Elemente.
- Abschlussreflexion mit der Lerngruppe und ggf. Anpassung der gemeinsamen Kriterien für den nächsten Anwendungszyklus.
Tipp
Die partizipative Leistungsbewertung kann zunächst gut im Rahmen einzelner Arbeitsphasen ausprobiert werden, bevor sie umfangreich eingesetzt wird.
Dr. Julia Frisch
Dr. Julia Frisch lehrt und forscht an den Arbeitsbereichen Didaktik der Gesellschaftswissenschaften und Deutsch als Zweit- und Fremdsprache der Universität Trier zu den Schwerpunkten transnationales, interkulturelles und digitales Lehren und Lernen.
Autor*in(nen):
Dr. Julia Frisch (2019)
Titel:
Leistungsbewertung partizipativ gestalten
Erschienen in Ausgabe:
03 / 2019 - Partizipation im Unterricht, S. 23-25.