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„Ich habe nichts zu verstecken … oder doch?!“ – Ein Praxisleitfaden zur Diskussion in der Klasse

Durch das Zusammenspiel von Big Data und künstlicher Intelligenz eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten, auch im Bereich der öffentlichen Sicherheit. Immer mehr Städte weltweit machen davon Gebrauch und setzen auf Kameras mit computergesteuerter Gesichtserkennung. Nicht jeder ist damit einverstanden. Wie kann man die aktuelle gesellschaftliche Debatte um öffentliche Sicherheit und Privatsphäre mit Jugendlichen besprechen?

Das vorliegende mateneen-Heft beschäftigt sich mit dem Potenzial und den Risiken der digitalen Welt. Dieser Praxisleitfaden möchte exemplarisch am Thema der Gesichtserkennung aufzeigen, welche gesellschaftlichen Fragen sich ergeben, wenn Big Data und künstliche Intelligenz aufeinandertreffen. Junge Menschen sollen sich dieses neuen Umfeldes bewusst werden und eine informierte Wahl treffen, wie sie mit dieser zwar alten, aber in neuem Gewand daherkommenden, gesellschaftlichen Fragestellung um Sicherheit und Privatsphäre umgehen.

Grundrechte in einer Demokratie

Sicherheit und das Recht auf Privatsphäre sind beides Grundrechte in einer Demokratie. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union versichert, dass jeder Mensch das Recht auf geistige und körperliche Unversehrtheit (Art. 3) sowie das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 6) hat. Zusätzlich garantiert sie sowohl jeder Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens (Art. 7) als auch das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten (Art. 8). In der Tat verliert jedes demokratische politische System, das die Sicherheit seiner Bürger*innen nicht garantieren kann, seine Legitimität. Andererseits funktioniert Demokratie aber auch nur, wenn Bürger*innen Privatsphäre haben, in der sie ihre eigene Persönlichkeit entfalten können, frei denken und sich ohne Druck von außen eine eigene Meinung bilden können. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass sie demokratische Grundrechte wie Gedanken- oder Glaubensfreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung oder Versammlungsfreiheit überhaupt nutzen können.

Demokratie funktioniert demnach weder ohne Sicherheit noch ohne das Recht auf Privatsphäre! Die Sorge um die öffentliche Sicherheit kann allerdings schnell zulasten der persönlichen Privatsphäre gehen … oder umgekehrt, die Wahrung der persönlichen Privatsphäre sich negativ auf die öffentliche Sicherheit auswirken.

Big Data und Künstliche Intelligenz am Beispiel der Gesichtserkennung

Der technologische Fortschritt der letzten Jahre hat die Debatte verschärft. Milliardenfach werden persönliche Bilder oder Videos hochgeladen. Überwachungskameras, nicht nur an öffentlichen Plätzen, werden mit Technologie zur Gesichtserkennung ausgestattet. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz können gefilmte Personen in Echtzeit identifiziert und Verknüpfungen zu weiteren Online-Informationen hergestellt werden. Für Sicherheitsbehörden bieten sich neue, sehr effiziente Wege, um Verbrechen aufzudecken. Expert*innen, die sich mit Privatsphäre beschäftigen, sehen diese Entwicklung mit großer Sorge.

Gesichtserkennungs-Matrix
Diskussion in der Klasse

Ein handlungsorientierter Zugang zu den Themen Big Data und künstliche Intelligenz ist zurzeit noch recht schwierig, da Bildungseinrichtungen in aller Regel nicht über die nötigen Ressourcen verfügen, um dieses Zusammenspiel zu simulieren. Auch müssen sich Lehrer*innen/ Erzieher*innen oft noch die nötigen Kompetenzen zum Thema aneignen. Der vorliegende Praxisleitfaden ist daher ein Versuch, sich dem Thema auf spielerische Art und Weise zu nähern.

Durch alltagsbezogene Fragen werden die Schüler*innen dazu angeregt, sich mit dem Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Privatsphäre auseinanderzusetzen. Sie wägen die einzelnen Argumente ab, besprechen unterschiedliche Standpunkte und bilden sich ihre eigene Meinung. Abschließend diskutieren sie, wie sie selbst darauf Einfluss nehmen können, wie und ob neue Technologie zur Gesichtserkennung eingesetzt werden soll.


Checkliste
„Ich habe nichts zu verstecken … oder doch?!“

Ziel

Nachdenken und Diskussion zur Titel-Aussage

Zielgruppe

Eine Schulklasse

Dauer

50 Minuten

Vorgehen
  • Austeilen der grünen und roten Karten
  • Mitteilung an die Schüler*innen, dass ihnen 11 Fragen gestellt werden, auf die sie jeweils mit „Ja“ (grüne Karte) oder „Nein“ (rote Karte) antworten müssen, und dass die Standpunkte anschließend diskutiert werden sollen. Weitere vorbereitende Erklärungen sind nicht notwendig
  • Stellen der Fragen, Sammeln der Standpunkte der Schüler*innen und Notieren der Abstimmungsergebnisse zu den 11 Fragen
  • Diskussion der Standpunkte sowie der weiterführenden Fragen
Tipp

Lehrpersonen sollten Schüler*innen selbstständig und eigenverantwortlich nachdenken lassen und die Diskussion zwischen den Schüler*innen aktiv fördern.


„Alles unter Kontrolle?!“ – Angebot

Unter dem Titel „Alles unter Kontrolle!?“ bieten BEE SECURE und das Zentrum fir politesch Bildung Workshops an, um Jugendliche mit gesellschaftlichen Fragen rund um die digitale Welt vertraut zu machen. In praktisch ausgerichteten Workshops werden die Chancen, aber auch die Risiken, welche die neuen Technologien bieten, diskutiert.





Romain Schroeder

Romain Schroeder hat Geschichte und Französisch studiert, anschließend u.a. als Lehrer gearbeitet und ist aktuell Koordinator im Zentrum fir politesch Bildung.

Autor*in(nen):

Romain Schroeder (2020)

Titel:

„Ich habe nichts zu verstecken … oder doch?!“ – Ein Praxisleitfaden zur Diskussion in der Klasse

Erschienen in Ausgabe:

04 / 2020 - Demokratiebildung in der digitalisierten Gesellschaft, S. 34-38.

Stichwörter:
Arbeitsmaterialien
  • „Ja“ oder „Nein“? Was meinst du?
  • Übungsverlauf für Lehrpersonen
  • Rote und grüne Karten
Zitiervorschlag:
Romain Schroeder (2020) : „Ich habe nichts zu verstecken … oder doch?!“ – Ein Praxisleitfaden zur Diskussion in der Klasse, in: mateneen 04 / 2020 - Demokratiebildung in der digitalisierten Gesellschaft , S. 34-38. Online unter: https://doi.org/10.25353/ubtr-made-f18f-d0f9