Artikel
Themenbezogene Demokratietage: Gesellschaftliche und demokratische Herausforderungen diskutieren
Demokratietage bieten die Möglichkeit, aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen und Grundlagen des demokratischen Zusammenlebens außerhalb des Unterrichts fächer- und lerngruppenübergreifend zu thematisieren. Das gilt für Grundschulen wie für Sekundarschulen gleichermaßen.
Gesellschaftliche Zukunftsfragen und Entwicklungen tangieren Kinder und Jugendliche in besonderer Weise. Voraussetzungen und Bedingungen demokratischen Zusammenlebens werfen Fragen auf; demokratische Werte müssen immer wieder neu verhandelt werden. Politische Konflikte und gesellschaftliche Herausforderungen können Lernende zudem verunsichern: Welche Ursachen hat der Klimawandel und was können wir tun? Wie verändert die Digitalisierung demokratische Diskurse und persönliche Freiheiten? Wie viel Polarisierung und soziale Ungleichheit hält eine Gesellschaft aus? Eine nachhaltige Gesellschaft – was bedeutet das überhaupt? Zugleich sind gerade für diese Themen im regulären Unterricht einerseits oft nicht ausreichend Ressourcen vorhanden. Andererseits sind fächerübergreifende Perspektiven notwendig, um die entsprechenden Inhalte in ihrer Komplexität zu erschließen.
Lernchancen am themenbezogenen Demokratietag
Demokratietage bieten Raum, sich diesen grundlegenden Fragen multiperspektivisch und jahrgangsübergreifend zu widmen. Im gegenseitigen Austausch älterer und jüngerer Schüler*innen und verschiedener Fachdisziplinen werden neue Einsichten, überraschende Erkenntnisse und Perspektivwechsel möglich. Demokratietage sind zugleich mehr als zeitlich ausgedehnte Unterrichtseinheiten. Die Öffnung von Schule, die freie Themenwahl, ganzheitliche Lernformen und kreative Methoden lassen sie zu einem besonderen Erlebnis werden. Dabei stehen die Interessen und die Betroffenheit der Schüler*innen und der Schulgemeinschaft klar im Fokus. Ihre Fragen, Erfahrungen und Perspektiven sind leitend für die Ausgestaltung der Veranstaltung. Gemeinsam mit Lehrpersonen oder Eltern können sie eigene Themen setzen und Ateliers anbieten. Die Vernetzung des gewählten Themas mit der eigenen Lebenswelt ist ebenso wichtig wie die Frage, welche Handlungsoptionen und eigenen politischen Interessen aus dem Lernprozess folgen.
Ein relevantes Thema mit Lebensweltbezug wählen
Die Entscheidung für ein konkretes Thema des Demokratietags sollte daher von der gesamten Schulgemeinschaft getroffen werden, Vorschläge von allen eingebracht werden können. Themen können hierbei ruhig „groß“ gedacht werden. Welche politischen Konflikte finde ich interessant? Wovon fühle ich mich betroffen? Was würde ich gerne ändern? Und auch: Welche gesellschaftlichen Herausforderungen oder medialen Diskussionen habe ich nicht verstanden? Womit hätte ich mich im Unterricht gerne (vertiefend) beschäftigt? Auch die Frage, welches Thema mich als Schüler*in in meinen Augen nicht betrifft, kann sehr interessante Diskussionen hervorbringen. So wird die Planung eines thematischen Demokratietags bereits zu einem spannenden Ereignis und kann zahlreiche Diskussionsanlässe bieten. Zugleich sollte das Tagesthema so gewählt werden, dass es Raum für unterschiedliche Fachperspektiven lässt und als Motto zur Entwicklung spezifischer Ateliers oder Workshops einlädt.
Vielfältige Ateliers, Exkursionen und Veranstaltungen zum Tagesthema
Ist die Entscheidung über das Tagesthema gefallen, gilt es, ein vielfältiges themenbezogenes Programm zu entwickeln.
Hierzu zählen neben zentral organisierten Veranstaltungen wie Vorträgen oder Podiumsdiskussionen mit Politiker*innen oder gesellschaftlichen Akteur*innen insbesondere auch Ateliers oder Workshops in Kleingruppen. Denkbar sind Theater- und Kunstprojekte, thematische Workshops in Kooperation mit außerschulischen Partner*innen, Exkursionen, Schreib- und Medienateliers, Diskussionen und Debatten, Forschungswerkstätten, Planspiele und vieles mehr. Diese sollten gleichermaßen von Schulpersonal, Eltern und Schüler*innen angeboten werden. Hierzu ist es notwendig, von Seiten des Organisationsteams rechtzeitig zur Mitwirkung aufzufordern und im Fachunterricht oder der Klassengemeinschaft mögliche Bezugspunkte und Ideen zu entwickeln. Lehrpersonen sollten ihre Bereitschaft zeigen, Vorschläge von Lernenden aufzugreifen und mit ihnen gemeinsam Ateliers zu organisieren.
Wichtig ist es, Schüler*innen bei der Entwicklung ihrer Workshopideen proaktiv zu unterstützen – gerade jüngere Grundschüler*innen benötigen Hilfestellungen, um aus ihren Ideen tragfähige und erfolgreiche Veranstaltungen zu kreieren. Ist das Atelier-Thema in der vorgegebenen Zeit zu realisieren? Wer könnte mitwirken? Wer ist die Zielgruppe? Was wird benötigt? Wie wäre das Thema methodisch und inhaltlich zu gestalten? Wie könnte ein anregender Ausschreibungstext formuliert werden? Mit Hilfe entsprechender Rückmeldebögen (vgl. Anleitung zur partizipativen Planung eines Demokratietags) sollten die Workshopvorschläge ans Organisationsteam weitergeleitet werden, das die finale Auswahl und Gestaltung des Gesamtprogramms vornimmt und bekannt gibt.
Nach der Auswahl einer organisatorisch zu bewältigenden Anzahl an Angeboten kann deren konkrete Vorbereitung in Arbeitsgruppen von drei bis sechs Personen stattfinden, in denen möglichst viele Statusgruppen der Schulgemeinschaft und auch die spätere Leitung bzw. Moderation des Ateliers vertreten sind. Gerade Kooperationen mit externen Partner*innen oder Einladungen an bspw. Politiker*innen oder Expert*innen sollten frühzeitig in die Wege geleitet werden. Praktisch ist es, wenn für Zusammenarbeiten dieser Art schon Richtlinien und Vordrucke existieren, die über die Jahre in der Evaluation der Demokratietage stetig weiterentwickelt wurden. Gerade für thematische Demokratietage kann die Unterstützung durch Externe hochinteressant sein – es ist aber darauf zu achten, dass die besondere Chance des Tages, einen Inhalt vertieft mehrperspektivisch zu betrachten, nicht durch die Einladung bspw. nur eines*einer Konfliktpartner*in verloren geht. Der Konflikt oder die Herausforderung sollten, wie auch deren Lösungsmöglichkeiten und Chancen, kontrovers diskutiert werden. Neben der Kontroversität sind weitere Fragen bei der Vorbereitung des Workshops wichtig: Inwieweit betrifft der Inhalt die Teilnehmer*innen des Workshops? Was ist exemplarisch am Konflikt/an der gesellschaftlichen Herausforderung? Bewege ich mich entlang des ursprünglich (aus-)gewählten Vorschlags? Befähigt der Workshop die Mitwirkenden dazu, ihre eigenen Interessen zu erkunden, zu diskutieren und handlungsfähig(er) zu werden? Eine gute Orientierung, ob grundlegende Gestaltungsaspekte berücksichtigt sind, bietet damit auch der Beutelsbacher Konsens.
Rechtzeitig vor dem eigentlichen Demokratietag sollte das Gesamtprogramm mit kurzen Beschreibungen der einzelnen Ateliers der Schulgemeinschaft bekannt gemacht werden. Schüler*innen können sich dann für die Workshops eintragen, an denen sie mitwirken möchten. Bei der Durchführung verteilt sich die Verantwortung für das Setting dann auf die Schultern aller Teilnehmenden. Diese Wahrnehmung kann bereits zu Beginn des Angebotes eingeleitet werden: Alle Anwesenden können persönliche Ziele und Fragen formulieren, Räume für eigene Recherchen und Vertiefungen sollten vorhanden sein. Organisator*innen können, gemeinsam mit den Teilnehmenden, zu Beginn Gelingensbedingungen diskutieren. Auch die anschließende Reflexion und Evaluation des Tages behandelt nicht nur den Inhalt und diesbezügliche Ergebnisse, sondern auch die Gruppenprozesse und zukünftigen Wünsche für die Organisation und Durchführung von Demokratietagen. Hier kann dann direkt mit der Sammlung neuer Themen begonnen werden. Und schließlich sollte auch überlegt werden, welche nachhaltigen Folgen der Demokratietag für die Schulgemeinschaft hat: Welche Konsequenzen sollen nach der thematischen Auseinandersetzung gezogen werden? Welche Initiativen entstehen als Ergebnis der bisherigen Überlegungen? Wie können aufgeworfene Fragen im Fachunterricht, den Arbeitsgemeinschaften oder dem Schulleben vertieft werden? Die Ergebnisse gilt es dann zu sichern und für die Schule sichtbar zu machen. Mit einer Ausstellung oder einem Markt der Möglichkeiten bspw. werden die Erfahrungen der Schüler*innen zum Gegenstand der ganzen Schulgemeinschaft.
CHECKLISTE
Thementage planen
Ziel
Gesellschaftliche und politische Themen und ihre Bedeutung für die Lernenden sowie Handlungsmöglichkeiten exemplarisch erschließen
Zielgruppe
In allen Altersstufen möglich
Dauer
Hier im Sinne eines Projekttags skizziert, aber auch auf längere Zeitfenster (z. B. Projektwochen) adaptierbar
Wichtig
Planung und Durchführung mit den Lernenden; Perspektiven und Entscheidungen im Sinne ihrer Bedeutung für die/den Lernenden denken; Auswertung und Reflexion nicht unter den Tisch fallen lassen
Tipp
Zur Schwerpunktsuche Emotionen miteinbinden: Was regt mich als Schüler*in auf? Was bringt in mir Unwillen hervor? Was irritiert mich? Was verstehe ich nicht?
Mögliche Ateliers zu unterschiedlichen Demokratietagen
Die folgenden Karten bilden jeweils ein Tagesthema und mögliche Ateliers ab. Schüler*innen können sie, auch in digitaler Form, zur selbstständigen Auswahl und Anmeldung nutzen.
Prof. Dr. Matthias Busch
ist Professor für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften. Er lehrt und forscht u. a. zur Demokratiepädagogik, Europabildung und Geschichte der politischen Bildung.
Charlotte Keuler
lehrt und forscht an der Universität Trier zu demokratischer Schulentwicklung, politischer Bildung in der Großregion und im internationalen Vergleich. Sie ist u. a. Mitarbeiterin des transnationalen Projekts Sesam’GR.
Autor*in(nen):
Prof. Dr. Matthias Busch / Charlotte Keuler (2021)
Titel:
Themenbezogene Demokratietage: Gesellschaftliche und demokratische Herausforderungen diskutieren
Erschienen in Ausgabe:
6 / 2021 - Tag der Demokratie, S. 22-25.