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Demokratiebildung in der digitalisierten Gesellschaft

Digitalisierung wirkt sich in radikaler Weise auf alle Lebensbereiche aus. Durch die technische Vernetzung und die Umwandlung analoger in digitale Daten entstehen umfassende Datenmengen. Aus ihrer Verknüpfung und Verarbeitung lassen sich Regelmäßigkeiten erkennen und Anwendungen generieren, deren soziale, ethische, politische, rechtliche, arbeitsweltliche und ökonomische Folgen heute noch nicht ansatzweise abzuschätzen sind.1

Optimistische Prognosen erwarten eine Erhöhung von Sicherheit und Effizienz, beispielsweise durch intelligente Verkehrsund Warensteuerung oder automatisierte medizinische Diagnosen. Online-Partizipation werde demokratische Teilhabe, Mobilisierung und Entscheidungsprozesse verbessern und erleichtern. Die mit der Digitalisierung einhergehenden Veränderungen in der Produktion, Distribution und Erschließung von Wissen, beispielsweise durch frei verfügbare Bildungsangebote wie MOOCs oder Open-Educational- Resources, könnten Bildungssysteme nachhaltig demokratisieren und Bildungsgerechtigkeit erhöhen. Digitale Medien und virtuelle Anwendungen wie Virtual Reality würden neue Lehr-Lern-Settings ermöglichen. Das individuelle Lernen könne durch das automatisierte Messen von Lernfortschritten – sog. Learning-Analytics – und personalisierte Lernbegleitung optimiert werden. Letztlich würden durch Biometrik und kybernetische Organismen menschliche Intelligenz und Fähigkeiten erweitert und die Arbeitswelt mit Hilfe von Automatisierung und künstlicher Intelligenz zugunsten der Menschen revolutioniert werden.2

Kritische Zukunftsentwürfe sehen dagegen durch die Digitalisierung Demokratien und das Bildungssystem gleichermaßen gefährdet.3 So ermögliche Big Data eine nie dagewesene soziale Kontrolle, die die Privatsphäre zerstören und in einen digitalen Faschismus führen könne. Soziale Ungleichheit und Bildungsbenachteiligung würden sich durch die digitale Spaltung vergrößern; Social Bots und Digital Microtargeting würden mit Fake News und Echokammern gesellschaftlichen Zusammenhalt zersetzen, politische Meinungsbildung manipulieren und Pluralismus als Grundlage demokratischer Gesellschaften vernichten. Der Einfluss der neuen Medien auf die Sozialisation führe schließlich zu „digitaler Demenz“ (Manfred Spitzer) und Soziopathie.

Digitalisierung als politische Herausforderung

Welche gesellschaftlichen Entwicklungen mit der Digitalisierung tatsächlich verbunden sein werden, lässt sich momentan noch nicht beantworten. Für beide Zukunftsvisionen lassen sich bereits heute erste Anzeichen und Beispiele finden. Die Szenarien verdeutlichen jedoch, dass die Digitalisierung zentrale politische Fragen aufwirft, die in einem zivilgesellschaftlichen Diskurs verhandelt und gestaltet werden können. Wie sich die Digitalisierung entwickelt und welchen Einfluss sie in den unterschiedlichen Lebensbereichen gewinnt, ist in erster Linie nicht durch technische, sondern politische Entscheidungen bestimmt. Die virulenten Probleme betreffen weniger neuartige digitale, technologische als vielmehr gesellschaftlich zeitlose, analoge Fragestellungen. Hierzu zählen im Hinblick auf die Daten- und die damit einhergehende Kapitalkonzentration beispielsweise Fragen der demokratischen Machtkontrolle und des Datenschutzes. In dem Maße, wie es möglich ist, persönliche Konsumgewohnheiten, Gesundheitszustände, Verhaltensweisen und Vorlieben mit Hilfe von Digital Tracking und Algorithmen zu messen und vorherzusagen oder durch technische Innovation und die Anonymität des Internets Desinformations- und Verleumdungskampagnen zu führen, müssen Gesellschaften ihr Verständnis von Persönlichkeitsrechten und digitaler Selbstbestimmung neu verhandeln und daraus Maßnahmen zum Schutz von Privatsphäre und demokratischer Öffentlichkeit durch Regulierung digitaler Erscheinungsformen ableiten. Wenn Algorithmen in der Lage sind, bereits aus 300 öffentlichen Facebook-Likes Persönlichkeitsprofile zu erstellen, die in ihren Aussagen zu Vorlieben, Einstellungen und Charakterzügen treffsicherer sind als die Einschätzungen enger Freunde,4 so muss geklärt werden, inwieweit diese für Versicherungen, Bewerbungsverfahren oder Wahlwerbung nach ethischen Erwägungen genutzt werden dürfen und wie ihre Programmierung ggf. öffentlich transparent kontrolliert werden kann, um Diskriminierung und Manipulation vorzubeugen.5

Digitalisierung als demokratiepädagogische Herausforderung

Für Schule und Unterricht stellt Digitalisierung damit nicht allein eine technische oder medienpädagogische Herausforderung, sondern insbesondere auch eine demokratiepädagogische Bildungsaufgabe dar, die Inhalte, Methoden und Ziele des Lernens und Lehrens in allen Fächern tangiert. Damit nicht technische Innovation oder gar ökonomische Interessen didaktische Konzepte bestimmen, bedarf es auch hier einer aktiven demokratiepädagogischen Schulentwicklung.

Die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer solchen strategischen pädagogischen Auseinandersetzung mit Erscheinungsformen, Chancen und Risiken der Digitalisierung begründen sich nicht zuletzt aus der aktuellen Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler, in der analoge und digitale Welt längst zu einem hybriden

Erfahrungs- und Handlungsraum verschmolzen sind. Heutige Kinder und Jugendliche verbringen nach eigenen Angaben – wie aktuelle Studien zeigen (vgl. Übersicht 1) – durchschnittlich bis zu vier Stunden am Tag im Internet. Youtube, WhatsApp, Snapchat, Instagram und TikTok zählen zu den beliebtesten Angeboten. Gerade die Videoportale sind zunehmend eine zentrale Basis zur Vorbereitung auf Referate und Klausuren. Politische Informationen werden fast ausschließlich über den Newsfeed der sozialen Medien rezipiert. Die WhatsApp-Gruppe der eigenen Klasse oder Peergroup ist gleichermaßen sozialer Bezugspunkt, Ort der Identitätsbildung wie Quelle für Cybermobbing oder Doxing. Jugendliche nutzen die sozialen Medien und das Internet, um Gleichgesinnte zu finden und sich – wie im Fall der Fridays for Future-Bewegung – politisch zu organisieren, sind zugleich aber oft nicht in der Lage Fake News oder populistische Propaganda als solche zu dekonstruieren.

Die ambivalenten Erfahrungen, die Kinder und Jugendliche in der digitalen Welt machen, müssen Lehrer*innen aufgreifen und in Bildungsprozessen fundieren, wollen sie nicht an der Lebenswirklichkeit der Schüler*innen vorbei unterrichten. Neben der Chance, durch entsprechende Angebote im Fachunterricht und in freiwilligen Arbeitsgemeinschaften Erfahrungen in der Anwendung und produktiven Gestaltung digitaler Medien und Lernsettings zu sammeln, sollten Digitalisierung und ihre gesellschaftlichen Implikationen auch zum Gegenstand des Unterrichts werden.

Gerade die allgemeinbildende Schule, die alle Kinder und Jugendlichen jenseits segregierender Filterblasen erreicht und zu Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Mitbestimmung befähigen soll, steht in der Verantwortung, in der Entwicklung des Selbst- und (digitalen) Weltverhältnisses ein Schon- und Reflexionsraum für eine distanzierende Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswelt und gesellschaftlichen Wirklichkeit zu sein. Bestehende bildungspolitische Konzepte und Maßnahmen werden dieser komplexen Verantwortung bisher nur bedingt gerecht (vgl. Übersicht 2). Aus Sicht der Demokratiebildung wäre es in jedem Fall fatal, „digitale Bildung“ rein affirmativ und funktionalistisch als medienkompetente Nutzung digitaler Medien zu denken oder an ein einzelnes Fach wie „Informatik“ oder „Medienbildung“ zu delegieren. Vielmehr erfordert die komplexe Bildungsaufgabe, eine demokratische Handlungskompetenz unter den sich verändernden Bedingungen gesellschaftlicher Digitalität zu ermöglichen, eine Entwicklung von Schule und Unterricht in mindestens vier Handlungsfeldern (vgl. Abb.).

Schule als Reflexions- und Handlungsraum in der gesellschaftlichen Digitalität 

Im Bereich der Unterrichtsentwicklung müssen sich Kollegien zunächst damit auseinandersetzen, wie sie die skizzierten ethischen, gesellschaftlichen und politischen Implikationen, Risiken und Chancen der Digitalisierung in den Einzelfächern und fachübergreifend im Bildungsgang der Lernenden thematisieren können, um ihre Schüler*innen auch in digitalen Fragen zur gesellschaftlichen Partizipation zu befähigen. Zur Teilhabe an der Gestaltung der digitalisierten Gesellschaft benötigen Jugendliche beispielsweise ein grundlegendes Wissen über die Funktionsweisen von Algorithmen und künstlicher Intelligenz, Kenntnisse über die Auswirkungen von Big Data und Micro Targeting oder die Fähigkeit, digitale Informationen medienkompetent auf ihre Qualität, Herkunft und Gültigkeit zu prüfen. Zu einer entsprechenden Thematisierung und curricularen Verankerung bedarf es dabei weder einer kostenintensiven digitalen Ausstattung noch neuer Unterrichtsfächer. Vielmehr lassen sich die Inhalte durchaus analog erörtern und systematisch genuinen Gegenstandsbereichen der bestehenden Fächer wie Mathematik, Biologie, Ethik, den sprachlichen oder gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen zuordnen. So unterstützt beispielsweise die für den Geschichtsunterricht maßgebliche Befähigung zur historischen Quellenkritik nicht nur die Ausbildung einer – auch auf die digitale Welt übertragbaren – Medienkompetenz. Die nicht unproblematischen historischen Deutungsangebote und geschichtskulturellen Diskussionen im Internet, mit denen auch Schüler*innen in ihrer Lebenswelt konfrontiert sind, machen eine Auseinandersetzung mit der digitalen Geschichtskultur auch im modernen Geschichtsunterricht unausweichlich. Entsprechend gilt es, für jedes Fach zu prüfen, inwieweit sich die Gegenstände der eigenen Disziplin in der Digitalität moderner Gesellschaften bereits verändert haben und welchen Beitrag das Einzelfach zur Förderung einer (digitalen) Mündigkeit leisten kann, der Schule ihrem Selbstverständnis und Auftrag gemäß verpflichtet ist.

Neben dem Lernen über digitale Medien muss Schule hierzu auch das Lernen mit digitalen Medien ermöglichen, indem sie Handlungsräume eröffnet, in denen Schüler*innen sich als Konsument*innen, Gestalter*innen und Produzent*innen in der digitalen Welt erproben und ihre Erfahrungen reflektieren können. Von der Schulhomepage über selbsterstellte Podcasts und Online-Foren bis hin zur Initiierung von Online-Petitionen oder der Programmierung von einfachen Algorithmen oder Apps können handlungsorientierte Praxisformen in Unterricht und Arbeitsgemeinschaften Schüler*innen anleiten und ermutigen, eigene digitale Handlungskompetenzen zu entwickeln und Partizipationschancen zu beanspruchen.

Digitale Unterrichts- und Infrastrukturentwicklung unter fachdidaktischem Primat

Sollen digitale Lernsettings auch im Unterricht Anwendung finden, setzt dies nicht nur eine gezielte und bedarfsgerechte Investitionsstrategie in technische Ausstattung, digitale und analoge Lernräume, Hard- und Software voraus, sondern erfordert kollegiale Anstrengungen zur Konzeption digitalgestützter Lernsettings. Der Einsatz digitaler Lernmedien verbessert nicht automatisch den Lernprozess und der vielfach erwartete Motivationseffekt der neuen Technik oder spielbasierter Anwendungen verflüchtigt sich in der Praxis schnell. Vielmehr benötigen digitale Medien – wie analoge Unterrichtsmedien auch – eine funktionale Einbindung in den Unterricht, die den gewählten Zielen, Inhalten und Methoden zuträglich ist. Die vertiefende Analyse eines einzelnen analogen Mediums ist nicht selten der zerstreuenden Multimedialität digitaler Anwendung vorzuziehen, das intensive persönliche Partnergespräch im Klassenraum effizienter als die aufwendig organisierte und störanfällige Feedback-App. Für Schulen kann die Investition in einzelne fachspezifische digitale Lernlabore kostengünstiger und didaktisch sinnvoller sein als die flächendeckende Ausstattung mit Smartboards in jedem Klassenzimmer. Vielfach entsprechen aktuelle kommerzielle Lernangebote den fachdidaktischen Standards noch nicht. Letztlich müssen deshalb auch Hard- und Softwarelösungen, digitalgestützte Unterrichtsmodelle und -materialien anhand fachdidaktischer und pädagogischer Kriterien geprüft werden.6 Sinnvoll wird der unterrichtliche Einsatz häufig erst dann, wenn er die spezifischen Potenziale digitalgestützten Lernens systematisch zu nutzen weiß (vgl. Abb.).

 

So kann schulisches Lernen beispielsweise mittels digitaler Medien ortsunabhängig, wie im Flipped Classroom, stärker kollaborativ und partizipativ sowie insbesondere individualisierter gestaltet werden als bisher und schafft damit neben einer Öffnung und einem virtuellen Verlassen des Klassenzimmers zugleich die Chance, die gemeinsam verbrachte Lernzeit im analogen Raum intensiver für den persönlichen Austausch, für individuelle Beratung oder zur Diskussion der Lerninhalte zu nutzen.

Zugleich besitzen digitale Anwendungen inhärente Effekte, die etablierten Unterrichtsstandards entgegenlaufen können; oder dem Mehrwert des neuen Mediums stehen Risiken gegenüber, die es abzuwägen gilt. Beispielsweise fördern interaktive Smartboards nicht selten ungewollt lehrerzentrierte Unterrichtsformen. Die Vorteile, mit automatisierten Lernanalysen die Lernprozesse nicht nur individualisieren, sondern auch in einem bisher unvorstellbaren Maße kontrollieren zu können, werfen erhebliche ethische Fragestellungen auf.

So verführerisch es ist, Schüler*innen per Eye Tracking in ihrem Leseverhalten zu beobachten, ihnen an passender Stelle im digitalen Schulbuch individualisierte Hilfestellung und Rückmeldung zu bieten, so sehr müssen sich Lehrpersonen auch fragen, wie Daten und Persönlichkeitsrechte geschützt werden können, wenn der externe Dienstleister Informationen zum Intelligenzquotienten der lesenden Schüler* innen gewinnen oder aus ihrer Augenbewegung Krankheitsrisiken berechnen kann.

Digitalisierung als Aufgabe von Schulentwicklung

Damit eine an pädagogisch-fachdidaktischen Kriterien orientierte Unterrichtsund Infrastrukturentwicklung gelingt, benötigen Schulen eine entsprechende Organisations- und Personalentwicklung. Zur Konzeption aufwendiger digitaler Lernsettings bedarf es kollegialer Zusammenarbeit und koordinierter Fortbildungen. Eine curricular fächerübergreifende Verankerung der skizzierten digitalen Zukunftsthemen und nachhaltige Investitionen in die technische Ausstattung verlangen nach kohärenten Digitalisierungsstrategien und verbindlichen Leitbildkonzeptionen sowie transparenten Maßnahmen zu Datenschutz und Qualitätssicherung. Ebenso ist zu überlegen, wie auch die schulischen Verwaltungs- und Beteiligungsstrukturen mit digitaler Hilfe verbessert und damit den Schüler*innen zugleich neue demokratiepädagogische Lernerfahrungen mit digitalen Tools ermöglicht werden können. Zur Unterstützung der aufwendigen Entwicklungsprozesse ist es schließlich auch ratsam, konzeptionell verankerte außerschulische Kooperationen wie beispielsweise OER-Repositorien und -Verbünde einzugehen, um im schulübergreifenden, internationalen Austausch von vorhandenen digitalgestützten Konzepten und Materialien zu profitieren.

Wie Schulen die unterschiedlichen Handlungsfelder ausgestalten und welche Antworten sie auf die didaktischen Herausfor- „Schulen sollten ihre spezifischen „analogen“ Kompetenzen pflegen“ derungen geben (vgl. Übersicht 3), hängt von den örtlichen Bedingungen, grundlegenden pädagogischen Ausrichtungen und Bedürfnissen ab. Allein die technischen Voraussetzungen variieren von Schule zu Schule deutlich – beispielsweise besitzen in Luxemburg 86,9 %, in Frankreich 37,4%, in Deutschland nur 26,2 % der Schulen einen W-LAN-Zugang (vgl. ICLIS 2018). Die jeweilige Digitalisierungsstrategie sollte daher partizipativ von den Akteuren vor Ort formuliert werden, um nachhaltige Wirkung entfalten zu können. Hierbei bedarf es auch aufgrund der disruptiven Innovationen, die mit der Digitalisierung in allen Lebensbereichen einhergehen, der Bereitschaft zu Flexibilität, kontinuierlicher Weiterentwicklung und institutioneller Selbstreflexion von Konzepten und Unterrichtspraxis. Traditionelle Schulräume und Unterrichtszeiten entsprechen schon heute oft nicht mehr den Anforderungen an digitalgestützte Lernarrangements. Bildungsangebote und -abschlüsse dürften sich weiter ausdifferenzieren und international vernetzen.


Auch bestehende Prüfungsformate werden sich mit der fortschreitenden Verfügbarkeit von Wissen und der technikgestützten Optimierung menschlicher Intelligenz radikal verändern müssen. Hier sind Kreativität und Pioniergeist, pädagogisches Augenmaß und fachdidaktische Expertise gefragt, die Kollegien nicht zu Getriebenen der Digitalisierung werden lassen, sondern sie dabei unterstützen, Schüler*innen in einem selbstbestimmten Leben und aktiver demokratischer Teilhabe in der digitalisierten Gesellschaft zu bestärken.

Nicht zuletzt sollten sich Schulen im Rahmen der eigenen Digitalisierungsstrategie auch der Bedeutung ihrer spezifischen „analogen“ Kompetenzen bewusst bleiben und diese pflegen. Das ästhetische Erlebnis eines Schulkonzerts nach langen Probenwochen, das Sich-Erfahren und -Entdecken in Theateraufführung oder Planspielen, das gemeinsame unterrichtliche Nachdenken und Diskutieren, die Arbeit im Schulgarten und die vielfältigen zwischenmenschlichen Begegnungen, Konflikte und miteinander erzielten Erfolge, die Erfahrungen von Toleranz und gemeinsam geteilten Werten sowie das Aushalten von Ambivalenzen und Unsicherheiten einer lebendigen Schulgemeinschaft lassen sich in keiner digitalen Anwendung abbilden, sind aber für den Bildungsgang der Schüler*innen essenziell.

 


Schulische Angebote zur Medienpädagogik in der Großregion

(Karl Schulz)

Rheinland-Pfalz:

https://frama.link/ukfMg9HH
Der Medienkomp@ss Rheinland-Pfalz bietet bildungspolitische und konzeptionelle Grundlagen und einen „roten Faden“ für systematische, in den Unterricht integrierte Medienbildung.

 

Saarland:

https://frama.link/4K-rcsok
Der Bereich Medienbildung auf dem Bildungsserver des Saarlandes bietet Informationen zur Vermittlung von Medienkompetenz und zum Lernen mit und über Medien. Sie finden Berichte über medienpädagogische Projekte sowie Hinweise zu Beschaffungs- und Betreuungsmöglichkeiten für Hardund Software. Darüber hinaus werden Medien und Materialien für Unterricht und außerschulische Bildung vorgestellt.

 

Frankreich-Lorraine:

https://frama.link/7pp5VXSY
Der französische Bildungsserver Eduscol hat einen eigenen Bereich zur Nutzung von digitalen Medien im Unterricht. Das Angebot beinhaltet Angaben zur pädagogischen Praxis und Unterstützungsangebote.

 

Belgien-Wallonien:

http://www.csem.be/outils
Die wichtigste Anlaufstelle in Wallonien ist der Hohe Rat für Medienerziehung. Das Onlineangebot beinhaltet unter anderem eine große Anzahl von Tools für den Einsatz im Unterricht.

 

Luxemburg:

https://edumedia.lu/
Medienpädagogik und Digitalisierung im Unterricht ist eine der wichtigsten bildungspolitischen Prioritäten in Luxemburg. „Edumedia“ wird zurzeit als zentrale Anlaufstelle aufgebaut. Man findet unter anderem einen Medienkompass und Schulungsangebote.


Blick in die Großregion: Digitalisierung aus Schülersicht

Bildungspolitisch nimmt die Förderung der Digitalisierung in Schule und Unterricht einen hohen Stellenwert ein. Doch wie nehmen Schülerinnen und Schüler die momentane Situation in ihrem Alltag wahr? mateneen führte im Athenée Royal de Nivelles in der Wallonie eine explorative Befragung durch, an der sich insgesamt 57 Jugendliche im Alter von 13 bis 15 Jahren beteiligten.

Digitale Lerntools gehören für die Schüler*innen längst zum Alltag in Schule und Lebenswelt. Viele ihrer Lehrpersonen am Athenée Royal de Nivelles setzen Lernund Lehrplattformen wie Itunes U oder Udditit, Programme und Apps wie Youtube, Notes, Ibook, Pages oder Kahoot ein. Hierbei werden die Tools in erster Linie zu Recherche-, Dokumentations- und Präsentationszwecken genutzt. Zugleich stellt die Mehrheit der Befragten ihren Lehrer*innen ein positives Zeugnis aus: Sie sehen die Vorzüge der digitalen Anwendungen und finden, dass sich durch sie das Lernen autonomer und interessanter gestalte.

Immerhin 13 Prozent fürchten jedoch auch, dass die Nutzung von Tablets im Unterricht eher ablenke und das Lernen nicht wirklich verbessere. Stellenweise wird gar der Verdacht gehegt, Lehrer*innen versuchten, Schüler*innen mit dem vordergründigen Einsatz moderner Technik nur „zu ködern“. 11 Prozent lehnen digitale Medien im Unterricht gänzlich ab.

Auffällig ist jedoch die demokratiepädagogische Leerstelle, die sich im Unterrichtsalltag nach Ansicht der Schüler* innen zeigt. Das Lernen mit digitalen Medien scheint nur selten von einem Lernen über digitale Medien und Digitalität begleitet zu werden. Letztlich erlebt nur eine Minderheit die digitalen Medien als Chance für eigene gesellschaftliche Partizipation. Zwar nutzen immerhin stolze 37 Prozent der Befragten das Internet, um ihre Meinung kundzutun und sich an Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Doch bleibt dieses Engagement auf das Privatleben beschränkt und findet keinen Widerhall im Schulkontext. In Unterricht und Schule werden die Schüler* innen nach eigenen Angaben kaum dazu aufgefordert, mit Hilfe digitaler Medien das Schulleben mitzubestimmen oder ihre Interessen und Positionen zu formulieren.

Insgesamt zeigen die Schüler*innen damit eine hohe Sensibilität für die Chancen und Grenzen digitaler Medien im Unterricht. Sie wertschätzen das Engagement und Bemühen ihrer Lehrer*innen, sehen aber auch die didaktischen Herausforderungen für einen funktionalen Medieneinsatz. Als Expert*innen ihrer Lebenswelt nehmen sie damit letztlich die Ambivalenzen einer Digitalisierung von Schule und Unterricht differenzierter wahr als so manch technik-euphorische bildungspolitische Verlautbarung.


1 Zur soziologischen Einordnung der Digitalisierung vgl. Armin Nassehi (2019): Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft. München: C.H. Beck.

2 Vgl. für das Bildungssystem bspw. Jörg Dräger, Ralph Müller-Eiselt (2015): Die digitale Bildungsrevolution. Der radikale Wandel des Lernens und wie wir ihn gestalten können. München: DVA.

3 Vgl. u.a. James Bridle (2019): New Dark Age. Der Sieg der Technologie und das Ende der Zukunft. München: C.H. Beck; Ben Williamson (2017): Big Data in Education. The digital future of learning, policy and practice. London: Sage.

4 Vgl. Wu Vouyou, Michal Kosinski, David Stillwell (2015): Computer-based personality judgments are more accurate than those made by humans. In: PNAS, 4/2015, vol. 112, p. 1036-1040.

5 Einen ersten Vorschlag für entsprechende demokratische Grundsätze hat die Europäische Ethikkommission 2018 in ihrer „Erklärung zu künstlicher Intelligenz, Robotik und ‚autonomen‘ Systemen“ formuliert. URL: https://ec.europa.eu/research/ege/pdf/ege_ai_statement_2018_de.pdf

6 Vgl. hierzu Klaus Zierer (2020): Lernen 4.0: Pädagogik vor Technik – Möglichkeiten und Grenzen einer Digitalisierung im Bildungsbereich. 3. Aufl. Verlag Schneider: Hohengehren.





Prof. Dr. Matthias Busch

ist Professor für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften. Er lehrt und forscht u. a. zur Demokratiepädagogik, Europabildung und Geschichte der politischen Bildung.

Autor*in(nen):

Prof. Dr. Matthias Busch (2020)

Titel:

Demokratiebildung in der digitalisierten Gesellschaft

Erschienen in Ausgabe:

04 / 2020 - Demokratiebildung in der digitalisierten Gesellschaft, S. 5-13.

Stichwörter:
Zitiervorschlag:
Matthias Busch (2020) : Demokratiebildung in der digitalisierten Gesellschaft, in: mateneen 04 / 2020 - Demokratiebildung in der digitalisierten Gesellschaft , S. 5-13. Online unter: https://doi.org/10.25353/ubtr-made-f120-3385