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Aktuelle gesellschaftliche und politische Themen im Klassenrat diskutieren

Sollten Plastikverpackungen verboten werden? Was spricht gegen eine Wahlberechtigung ab 14 Jahren? Wie sollte die EU mit möglichen Auswirkungen des Brexits umgehen? – Auch solche Fragen haben im Klassenrat ihre Berechtigung, denn ihre Diskussion bietet besondere Chancen für demokratische Lernprozesse.

Im Klassenrat besprechen und regeln die Schüler*innen zumeist Angelegenheiten, die sich unmittelbar aus ihrem Zusammenleben in der Klasse ergeben. Zusätzlich kann es in einem gesonderten Tagesordnungspunkt um Thematiken gehen, die über die Klassen- und Schulgemeinschaft hinausgehen und die auf kommunaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene politisch und gesellschaftlich diskutiert werden.

Der Themenwahl sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Einzig entscheidend ist, welches Thema die Klasse diskutieren möchte. So kommt neben den Anliegen aus dem schulischen Alltag eine weitere wichtige Angelegenheit auf die Tagesordnung des Klassenrats, die die Jugendlichen als relevant erachten – beispielsweise weil sie sich selbst davon direkt oder indirekt betroffen fühlen.

Um eine angemessene inhaltliche Tiefe sicherzustellen, sollte die Klasse bereits einige Tage vor der Klassenratssitzung ein entsprechendes Diskussionsthema vereinbaren und aus ihren Reihen zwei Expert*innen wählen, die sich besonders intensiv in die Thematik einarbeiten. Sie geben dem Klassenrat eine kurze thematische Einführung, in der sie grundlegende Informationen bereitstellen und die wichtigsten politischen oder wissenschaftlichen Grundpositionen und Kontroversen aufzeigen. Die vorgeschlagene Vorgehensweise ist bereits in die Praxismaterialien integriert. Eine Rollenkarte für die Expert*innen leitet ihre Vorbereitung und ihr Handeln während der Diskussion an.

Aus der Ergebnisperspektive mögen manche Schüler*innen sich anfänglich mit einer gewissen Skepsis fragen: „Warum sollen wir etwas diskutieren, das wir sowieso nicht ändern können?“ Doch in vielen Fällen können politische Debatten und politisches Engagement sich auch dort lohnen und Früchte tragen, wo man nicht selbst die letzte Entscheidung treffen oder das gewünschte Ergebnis mit den eigenen Händen realisieren kann. Den Blick über die unmittelbare individuelle Einflusssphäre zu weiten, ist ein entscheidendes Lernmoment auf  dem Weg zur aktiven Wahrnehmung der Bürgerrolle, die sich beispielsweise auch durch die Beteiligung an Wahlen, Petitionen und Referenden ausdrücken kann. Aus der Debatte im Klassenrat könnten beispielsweise Positionspapiere, Videostatements und offene Briefe resultieren, in denen sich die Schüler*innen an die Öffentlichkeit, an Abgeordnete, Pressevertreter*innen, die Conférence Nationale des Élèves du Luxembourg (CNEL) und andere gesellschaftliche Verantwortungsträger*innen wenden. Die Debatte kann zudem einen Ausgangspunkt für weitere Gespräche, individuelle Lernprozesse und freiwilliges Engagement darstellen.

Mindestens ebenso wichtig wie die Ergebnisperspektive ist die Prozessperspektive, die sowohl auf politisch-inhaltlicher als auch auf demokratiepädagogischer Ebene eine ganze Reihe von Lernchancen erkennen lässt: Nicht nur die beiden Expert*innen, sondern alle teilnehmenden Schüler*innen lernen und üben, sich in ein aktuelles Thema einzuarbeiten, sich einen eigenen Standpunkt zu bilden und diesen durch die Vorbringung von Argumenten zu vertreten. Sie lernen aber auch, in der Debatte fair zu bleiben, Gegenpositionen auszuhalten, andere Meinungen und Perspektiven zu verstehen und anzuerkennen, die eigene Haltung zu überdenken und gegebenenfalls anzupassen. Zwar gelten viele dieser Lernchancen für den Klassenrat insgesamt, doch die ergänzende Debatte größerer gesellschaftlicher und politischer Themen kann dabei helfen, von der individuellen Lebenswelt und der Situation in der Klasse zu abstrahieren und das eigene Leben und Wirken in den kommunalen, regionalen, nationalen oder internationalen Zusammenhang zu setzen.

Demokratie ist eine „Lebens-, Gesellschafts- und Herrschaftsform“ (Gerhard Himmelmann), sie endet nicht beim Verlassen des Klassenraums oder des Schulgebäudes. Die Debatte übergeordneter gesellschaftlicher und politischer Themen im Klassenrat kann Schüler*innen dabei unterstützen, dieses Gesamtbild stärker in den Blick zu nehmen. Durch den gemeinsamen Austausch können sie individuelle und kollektive Handlungsmöglichkeiten ausloten, die über den täglich erlebten Nahraum hinausgehen und an die sie als Einzelpersonen vorher womöglich gar nicht gedacht hätten.

 


Checkliste
Gesellschaftliche und politische Themen im Klassenrat diskutieren

Ziel

Über den unmittelbaren schulischen Kontext hinausgehende thematische Diskussion und politische Urteilsbildung.

Zielgruppe

Klassen der Sekundarstufe.

Dauer

20 bis 40 Minuten.

Vorgehen
  • Frühzeitige Vereinbarung des Diskussionsthemas und Wahl zweier Expert*innen.
  • Individuelle inhaltliche und argumentative Vorbereitung der Schüler*innen.
  • Einführung durch die Expert*innen.
  • Debatte und Findung eines Gesprächsergebnisses, das entweder einen Kompromiss oder die diskutierte Kontroverse abbildet.
  • Auf Wunsch der Schüler*innen: Planung, Umsetzung und Evaluation von Aktivitäten mit dem Ziel, politisch-gesellschaftliche Verbesserungen herbeizuführen.
Tipp

Lehrpersonen sollten die Schüler*innen selbst entscheiden lassen, welches Thema sie in die Tagesordnung des Klassenrats aufnehmen möchten.





Michell W. Dittgen

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich „Didaktik der Gesellschaftswissenschaften“ der Universität Trier. Demokratiebildung und demokratische Schulentwicklung gehören zu seinen Arbeitsschwerpunkten.

Autor*in(nen):

Michell W. Dittgen (2019)

Titel:

Aktuelle gesellschaftliche und politische Themen im Klassenrat diskutieren

Erschienen in Ausgabe:

02 / 2019 - Der Klassenrat, S. 28-30.

Stichwörter:
Arbeitsmaterialien
  • Rollenkarten (Grundschule, Variante 1)
  • Rollenkarten (Grundschule, Variante 2)
  • Rollenkarten (Sekundarschule, Variante 1)
  • Rollenkarten (Sekundarschule, Variante 2)
Zitiervorschlag:
Michell W. Dittgen (2019) : Aktuelle gesellschaftliche und politische Themen im Klassenrat diskutieren, in: mateneen 02 / 2019 - Der Klassenrat , S. 28-30. Online unter: https://doi.org/10.25353/ubtr-made-9f78-0173