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Bedeutung und Gestaltungsformate schulischer Demokratietage

Demokratietage bieten die Chance, Grundsätze und Voraussetzungen demokratischen Zusammenlebens zu vergegenwärtigen, den Status quo, eigene Interessen und aktuelle Herausforderungen der Demokratie – in Schule, Gesellschaft und weltweit – in den Blick zu nehmen und demokratische Entwicklungen zu stärken. Als Zäsur im Schulalltag können sie Feier, Reflexionsanlass und Motor demokratischer Schulkultur sein.

Im Schulleben wird Projekttagen, Festen und Feiern eine unentbehrliche pädagogische Funktion beigemessen.1 Aus dem Alltag herausgehoben sind jahreszeitlich bedingte Feste, Projekttage und ‑wochen, (multi)religiöse Schulfeiern, Einschulungs- und Abschlussfeiern, Sport- oder Musiktage Höhepunkte des Schuljahrs. Sie lassen Gemeinschaft erleben, können Verbundenheit schaffen, geben Raum für Kreativität und Rollenwechsel. Schulpersonal, Lernende, Eltern und Angehörige begegnen sich außerhalb des Unterrichts auf neue Weise; Talente werden sichtbar und wertgeschätzt, die im Alltag oft verborgen bleiben. Sie vergegenwärtigen leitende pädagogische Überzeugungen und Werte der Schulgemeinschaft und ermöglichen so eine in den Alltag wirkende Sinnorientierung.2 Flankierend zur tagtäglichen partizipativen Unterrichtsgestaltung, einem lebendigen Schulleben und funktionierenden Beteiligungsstrukturen besitzen sie damit ein beachtliches Potential zur Förderung und Stärkung der demokratischen Schulkultur.

Demokratiepädagogisches Potential von Projekttagen und Feiern

Damit Projekttage, Feste und Feiern ihre demokratiepädagogische Wirkung entfalten können, bedarf es jedoch grundlegender Voraussetzungen. Schulveranstaltungen dürfen nicht zur verordneten Pflichtübung werden oder in der unreflektierten Reproduktion tradierter Abläufe erstarren. Wenn sie sich in der inhaltlichen Gestaltung auf die Organisation kulinarischer Angebote und beliebig anmutender Aktivitäten beschränken, drohen sie sinnentleert und pädagogisch wirkungslos zu bleiben. Liegt ihre Vorbereitung in Händen weniger Verantwortlicher, kann die Durchführung keinen Nachhall in der Schulgemeinschaft erzeugen. Notwendig ist eine lebendige, partizipative Festkultur, die Lernende in die Planung, Umsetzung und Nachbereitung einbezieht. Wenn Schüler*innen an der Konzeption der Veranstaltungen teilhaben, wird das Ereignis auch zu ihrem Ereignis. Wenn sie ihre Ideen einbringen und Verantwortung für die Organisation einzelner Programmpunkte übernehmen, werden Sinn und Zielsetzung der Feier für sie bedeutsam. Die Aufgaben sind vielfältig. Sie reichen von der Arbeit im Organisationsteam, der Planung einzelner Angebote und künstlerischer Darbietungen über das Verfassen des Festvortrags bis zur Einladung externer Gäste. Entsprechend kann eine Vielzahl Lernender einbezogen werden und Verantwortung übernehmen. Durch die klassen- und jahrgangsübergreifende Gestaltung der Schulfeiern und das Engagement der unterschiedlichen Gruppen und individuellen Talente wird die heterogene Schulgemeinschaft in ihrer Vielfalt sichtbar und anerkannt. Schulfeste und -feiern können damit nicht nur immer wieder in neuer und an die Bedürfnisse der Beteiligten angepasster Form gestaltet werden, sondern zugleich die Spezifik der jeweiligen Schulgemeinschaft aufzeigen. So bewahren sie ihre Vitalität und Sinnhaftigkeit. Auf Seiten der Lernenden werden soziale und fachliche Kompetenzen, Eigenverantwortung und Kreativität gefördert, Identifikation und Selbstwirksamkeit gestärkt. Im Abstimmungsprozess werden Konflikte gelöst, unterschiedliche Interessen und Ideen wahrnehmbar. Die Auseinandersetzung mit Anlass und Bedeutung der Feierlichkeiten und den ihnen zugrundeliegenden Werten, Traditionen und Überzeugungen führt zu elementaren Fragen des demokratischen und (trans)kulturellen Lernens.

Demokratietage als Feier der demokratischen Schulkultur

Ein für die Demokratiebildung in besonderer Weise akzentuiertes Ereignis im Schuljahr bilden seit einigen Jahren die in vielen Ländern eingeführten Demokratietage (vgl. Übersicht). Ihre Ausgestaltung, Zielsetzung und Dauer variieren teils stark oder werden bewusst in die Verantwortung der einzelnen Schule gelegt. Doch eint die unterschiedlichen bildungspolitischen Initiativen der Anspruch, einen Tag zu schaffen, der in expliziter Abgrenzung zum Schulalltag Raum und Muße für eine produktive Auseinandersetzung mit Grundsätzen und Status quo der Demokratie als Lebens-, Gesellschafts- und Herrschaftsform eröffnet. Wie das Fest aus der „Zustimmung zur Welt und zum Dasein als Ganzem“3 lebt, so leben schulische Demokratietage aus der positiven Vergegenwärtigung und Bejahung der nicht selbstverständlichen Voraussetzungen und Errungenschaften eines demokratischen Zusammenlebens, ohne allerdings konkrete Probleme, Konflikte oder Herausforderungen der Demokratie zu negieren. Vielmehr stellen sie auch Momente kritischen Innehaltens dar. Sie geben Raum, über die eigene Rolle in der Schulgemeinschaft oder als Bürger*in in der Gesellschaft nachzudenken oder Fragen der demokratischen Schulkultur und ihrer Entwicklung zu verhandeln.

Mit der patriotischen Erbauung und pathetischen Inszenierung staatlich angeordneter Gedenktage aus früheren Zeiten haben Demokratietage nichts zu tun. Sie sollten in Schulen weder als aufoktroyierte Zusatzbelastung noch als politische Gesinnungsbildung betrachtet werden, sondern sich vielmehr in ihrer inhaltlichen Gestaltung und Form organisch aus dem demokratischen Schulleben, den Interessen und Ideen der Schulgemeinschaft entwickeln. Dies setzt in besonderer Weise eine breite Beteiligung aller Schulangehörigen an der Konzeption und Durchführung sowie eine langfristige Vorbereitung und Sensibilisierung für die Ziele und Möglichkeiten der Demokratietage voraus (Anleitung zur partizipativen Planung eines Demokratietages).

Schulspezifisches Programm partizipativ gestalten

Für die Organisation der – je nach bildungspolitischen Vorgaben einen bis fünf Tage umfassenden – Schulveranstaltung stehen den Schulen unterschiedliche Programmformate, Inhalte und Methoden zur Verfügung.

Zunächst bieten Demokratietage Gelegenheit, Grundfragen oder aktuelle Herausforderungen der Demokratie zu thematisieren (Themenbezogene Demokratietage). Inhalte wie „Meinungsfreiheit“, „Antisemitismus“, „Populismus“ oder „gesellschaftliche Diversität“, die im regulären Unterricht oft nur gestreift werden, können auf diese Weise multiperspektivisch und fächerübergreifend bearbeitet werden. Im Rahmen eines Projekttags sind themenspezifische Workshops, die Schulpersonal, Lernende und Eltern gemeinsam anbieten, Besuche von externen Kooperationspartner*innen, Organisationen oder Politiker*innen und Großformate wie Planspiele (Schule als Staat), Exkursionen oder Aktionen in der Kommune denkbar. Demokratietage bieten hier in Ergänzung zum regulären Unterricht Freiräume für handlungsorientierte, kreative Lernarrangements, forschendes Lernen und die gezielte Öffnung von Schule in Gemeinde und Region. Gerade das Lernen in klassen- und jahrgangsübergreifenden Gruppen und in transdisziplinärer Zusammenarbeit ermöglicht es Schüler*innen, auf innovative Weise voneinander und miteinander zu lernen und neue Rollen zu erproben. Mit dem gemeinschaftlich gewählten Veranstaltungsthema können bewusst Akzente gesetzt, für aktuelle gesellschaftliche Probleme sensibilisiert und politisches Engagement und Interesse gefördert werden. Der Themenschwerpunkt kann im Unterricht der Einzelfächer vorbereitet und im Nachklang des Demokratietags vertieft oder in außerunterrichtlichen Arbeitsgemeinschaften und Projekten, die aus den Workshops hervorgehen, weiterverfolgt werden.

Die eigene Schuldemokratie im Fokus

In gleicher Weise können Schulen aber auch die eigene demokratische Schulkultur zum Thema eines Demokratietages machen und den aktuellen Stand und Entwicklungsperspektiven der Schulgemeinschaft reflektieren (Partizipative Schulentwicklung am Demokratietag).

Konkrete Herausforderungen im Schulleben wie Mobbing oder die Neugestaltung des Schulhofs, Initiativen zur Verbesserung der schulischen Beteiligungsprozesse oder die konzeptionelle Ausarbeitung eines Schulprofils können Anlässe geben, gemeinsam mit Schulpersonal, Lernenden und Eltern (mit Methoden wie der Zukunftswerkstatt oder der Open-Space-Technology) Projektideen zu entwickeln und im laufenden Schuljahr umzusetzen.4

In Frankreich und Luxemburg werden die Demokratietage auch dafür genutzt, die Wahl der schulischen Gremien und Repräsentant*innen zu organisieren. Dies schafft Aufmerksamkeit und verdeutlicht die Relevanz der schulischen Partizipation. Das gelingt insbesondere dann, wenn in den Wochen zuvor Gelegenheit besteht, die Kandidat*innen, Aufgaben und Funktionen der Beteiligungsgremien kennenzulernen, so dass Wahlentscheidungen nicht ad hoc und unvorbereitet getroffen werden müssen.

Gemeinschaftserlebnis und Anerkennung

Schließlich sollten Demokratietage jenseits der thematischen Arbeit immer auch Zeit und Raum für Gemeinschaftserlebnis und die Feier der demokratischen Schulgemeinschaft reservieren. Viele Initiativen und Gruppen oder das regelmäßige Engagement von Schülervertreter*innen in den Beteiligungsgremien sind im Schulalltag unsichtbar oder werden als selbstverständlich angesehen. Demokratietage können dazu dienen, die heterogene Schulgemeinde in ihrer Vielfalt zu repräsentieren und zu feiern. Gegenseitiger Austausch und Wertschätzung derjenigen, die die demokratische Schulkultur maßgeblich gestalten, schaffen Verbundenheit und Bestätigung. Sie sensibilisieren für die Bedeutung des vielfältigen demokratischen Schullebens und motivieren zu Engagement und neuen Ideen. Dies kann beispielsweise mit einem jahrgangsübergreifenden Markt der Möglichkeiten oder einer offenen Bühne, auf denen sich einzelne Arbeitsgruppen und Gremien präsentieren, einer gemeinsamen Abschlussveranstaltung, die die Aktivitäten des Demokratietags und seine Ergebnisse vorstellt und bündelt, oder auch durch die Auszeichnung der bisherigen Schülervertreter*innen und ein gemeinsames Abschlussfest geschehen.

Demokratietage als Bestandteil der demokratischen Schulentwicklung

In dem Maße, wie Demokratie und demokratische Schulkultur am Demokratietag Wertschätzung und Beachtung erfahren, ihr Status quo reflektiert oder konkrete Vorhaben für eine Verbesserung des Schullebens entwickelt werden, sind Demokratietage keine singulären Ereignisse im Schuljahr. Ihre thematische Gestaltung erwächst aus der Schulgemeinschaft durch breite Beteiligung, die es allen Schulangehörigen ermöglicht, ihre Sichtweisen, Ideen und Vorschläge einzubringen. Eine intensive Vorbereitung sensibilisiert für die Anliegen und Themen der Veranstaltung. Die nachhaltige Wirkung der Demokratietage sollte durch eine entsprechende Nachbereitung unterstützt werden. Entstandene Vorhaben können weiterverfolgt und umgesetzt, diskutierte Ideen in den entsprechenden Beteiligungsgremien aufgegriffen und Ergebnisse in Schule und Gemeinde zurückgespiegelt werden. Eine Dokumentation der unterschiedlichen Aktivitäten kann den Demokratietag über Homepage und Aushang im Schulgebäude in Erinnerung halten, eine Evaluation Hinweise zur Verbesserung der Veranstaltung liefern.

Demokratietage wirken in ihrem ganzheitlichen Mix aus Reflexion und Aktion, ausgelassener Feier und ernsthaftem Engagement. Ihre gleichzeitige Distanz zum Unterrichtsalltag und Nähe zu den relevanten Themen der Schulgemeinschaft machen sie zum einzigartigen Ereignis im Schuljahr. Verzahnt mit anderen demokratiepädagogischen Bauformen sind sie weder symbolische Veranstaltung noch Ersatz für eine lebendige Schuldemokratie, sondern deren folgerichtiger Höhepunkt und Motor ihrer weiteren Entwicklung.

 


1 Otto Friedrich Bollnow (2013): Anthropologische Pädagogik. Band VII. Würzburg: Könighausen & Neumann, hier: S. 249.

2 Erich Weber (1979): Das Schulleben und seine erzieherische Bedeutung. Donauwörth: Auer, hier: S. 151.

3 Josef Pieper (1963): Zustimmung zur Welt. Eine Theorie des Festes. München: Kösel.

4 Vgl. beide Methoden in: mateneen 1/2018.





Prof. Dr. Matthias Busch

ist Professor für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften. Er lehrt und forscht u. a. zur Demokratiepädagogik, Europabildung und Geschichte der politischen Bildung.

Autor*in(nen):

Prof. Dr. Matthias Busch (2021)

Titel:

Bedeutung und Gestaltungsformate schulischer Demokratietage

Erschienen in Ausgabe:

6 / 2021 - Tag der Demokratie, S. 5-9.

Stichwörter:
Zitiervorschlag:
Matthias Busch (2021) : Bedeutung und Gestaltungsformate schulischer Demokratietage, in: mateneen 6 / 2021 - Tag der Demokratie , S. 5-9. Online unter: https://doi.org/10.25353/ubtr-made-5ffc-c6b7