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Die Schule öffnen: Politiker*innen und gesellschaftspolitische Initiativen einladen
Wenn es darum geht, Menschen aus Politik und Gesellschaft in die Schule einzuladen, stellen sich Lehrpersonen meist zahlreiche Fragen. Vor allem, wenn es sich um Politiker*innen handelt, wird manchen gern bang ums Herz. Wie kann man sicherstellen, dass der Austausch gewinnbringend für alle Seiten ist?
Zwei Dinge vorweg: 1. Politiker*innen dürfen in die Schule 2. Auf das Setting kommt es an.1 Das zu diesem Artikel passende Praxismaterial erleichtert das Planen, Durchführen und Evaluieren eines Treffens mit außerschulischen Akteur*innen. Zuvor jedoch einige grundlegende Überlegungen.2
Schule ist Schutzraum UND politischer Raum
Die Schule bietet Kinder und Jugendlichen Möglichkeiten, selbstständiges Denken und Handeln zu erproben. Dazu zählt auch, sich eine Meinung zu bilden, eigene Urteile zu fällen und Partizipation zu erleben. Das sind Fähigkeiten, die man beim Zusammenleben in der Schule braucht. Die Frage, wer was wie bestimmt, ist politisch. Insofern ist die Schule durchaus ein politischer Raum. Bestimmt wird dieser aber nicht nur vom Zusammenleben der Schüler*innen, sondern auch vom „großen” bildungspolitischen Rahmen und vom „kleinen” innenpolitischen Rahmen (durch lokalpolitische Entscheidungen in der Gemeinde und die hausinterne Politik).
Die Schule kann jedoch nur dann selbständiges Denken und Handeln fördern, wenn die Heranwachsenden geschützte Rahmenbedingungen vorfinden. Wenn Schule also als Schutzraum fungiert und die Prinzipien des Beutelsbacher Konsens hochhält. Konkret bedeutet dies, dass den Heranwachsenden nicht eine Meinung aufgedrängt wird, ihnen Kontroversen aufgezeigt werden und sie zur Partizipation ermuntert werden. Doch auch wenn die Schule als Schutzraum fungiert und frei von parteipolitischen Beeinflussungen sein muss, bedeutet das keineswegs, dass der Austausch mit Politiker*innen gemieden werden soll. Im Gegenteil, die direkte Begegnung mit politischen Akteur*innen kann äußert gewinnbringend sein. Schließlich werden hierbei die unterschiedlichen Interessenslagen des politischen Alltags sichtbar. Zudem lassen sich Zusammenhänge zwischen Schule, Lebenswelt und politischem Alltag herstellen. Eine Erfahrung, die zur Einsicht führen kann, dass sich Politik aktiv gestalten lässt und nicht festgeschrieben ist.
Politik übt sich früh
Kinder sind von Geburt an Mitglieder der Gesellschaft. Insofern leben sie auch nicht in einem politikfreien Raum. Politische Bildung kann deshalb nicht erst kurz vor dem 18. Lebensjahr beginnen. Die Begegnung mit Menschen aus Politik und Gesellschaft sollte daher auch bei Grundschüler*innen fester Bestandteil der schulischen Laufbahn sein.
Die Neutralität der Schule?
Versteht man unter Neutralität, dass Parteien in der Schule keine Werbung machen dürfen, dass religiöse und weltanschauliche Überzeugungen von Schüler*innen berücksichtigt werden und dass die Darstellung von Problemen und Ereignissen immer multiperspektivisch ausfällt, dann ist die Schule tatsächlich ein „neutraler“ Ort.
Dennoch ist die Schule der Demokratie als Lebens, Gesellschafts- und Herrschaftsform verpflichtet und kann insofern unmöglich neutral sein. Hier erleben Kinder und Jugendliche demokratische Prinzipien, um aufgeklärte (um nicht den vielbeschworenen Ausdruck „mündige” zu bemühen) Demokrat*innen zu sein und zu bleiben.
… und die der Lehrperson?
Wie die Schule selbst, können Lehrer*innen nicht neutral sein, weil sie einerseits der Demokratie verpflichtet sind und anderseits in politische Zusammenhänge eingebunden sind. Ob parteipolitisch aktiv oder nicht, haben die meisten Lehrkräfte eine Meinung zu politischen und gesellschaftlichen Fragen und dürfen diese auch äußern. Allerdings nur unter der Bedingung, dass sie ihre Meinung als eine unter vielen darstellen und nicht als die einzig Wahre. Es ist besser, die Lehrkraft ist sich ihrer Nicht-Neutralität bewusst und thematisiert diese offen, als dass ihre Wertvorstellungen und politische Position unreflektiert in den Unterricht mit einfließen.
In diesem Sinne sollte es auch klar sein, dass die Aufgabe von Lehrpersonen nicht darin besteht, jungen Menschen zu sagen, welche Partei sie unterstützen dürfen und welche nicht. Das heißt aber umgekehrt auch nicht, dass die Schüler*innen sich nicht mit Parteiprogrammen auseinandersetzen und diese auf menschenrechtsachtende bzw. -missachtende Prinzipien prüfen sollten. Hierbei kann es sogar legitim sein, Politiker*innen einzuladen und sie mit entsprechenden Fragen zu konfrontieren.
Schutzräume brauchen Grenzen
Politiker*innen, die offen oder versteckt Positionen vertreten, müssen nicht eingeladen werden. Falls man sich doch dafür entscheidet, z.B. weil diese auch offizielle Ämter bekleiden, muss man umso mehr auf das Setting achten (Vertreter*innen anderer Parteien einladen, Redezeit genau definieren, Schüler*innen auf Austausch vorbereiten…). Das Gleiche gilt für gesellschaftliche Organisationen: bestenfalls sollten Vertreter*innen verschiedener Ansichten eingeladen werden. Geht dies nicht, sollte erstens klar dargestellt werden, welche Position die Anwesenden vertreten, und zweitens sichergestellt werden, dass andere Standpunkte Einzug in die Diskussion finden. Das kann z.B. durch Fragen der Schüler*innen geschehen. Ziel muss immer ein ehrlicher Austausch von Argumenten im Dialog sein und kein Schlagaustausch in einer Debatte, aus der Kontrahent*innen als Gewinner*innen hervorgehen wollen. Das sollte auf anderen Plattformen passieren. Nicht in der Schule.
CHECKLISTE
Politiker*innen in der Schule
Ziel
Ein kontroverser Austausch zwischen Schüler*innen und Menschen aus Politik und Gesellschaft
Zielgruppe
Eine oder mehrere Schulklassen bis hin zur Massenveranstaltung vor der gesamten Schulgemeinschaft
Dauer
1 Stunde (1,5 Stunde maximal)
Vorbereitung
- Schulleitung informieren und Erlaubnis einholen
- Schüler*innen in die Planung einbeziehen (Rollenklärung)
- Politiker*innen oder andere Gesprächspartner*innen einladen
- Im Vorgespräch mit den Gästen Ziele, Inhalt, Ablauf usw. klären
- Absichtserklärung unterschreiben lassen
- Saal vorbereiten („oben“ – Podium – und „unten“ – Stuhlreihen im Saal – vermeiden, Mikrofone testen, …)
- Schüler*innen inhaltlich vorbereiten (Themen und Fragen festlegen; bestimmen, wer spricht, …)
Durchführung
- Gäste empfangen (Schulleitung und wer noch? …)
- Im Raum/Saal: Schüler*innen begrüßen
- Ablauf wiederholen
- Diskussion moderieren
- Schlussworte sprechen
- Evaluationsbögen verteilen
Tipp
Je mehr Gäste, desto wichtiger die Moderation. Eventuell könnte sich eine externe (professionelle) Moderation als vorteilhaft erweisen.
1 In Luxemburg regeln seit Juni 2014 drei ministerielle Weisungen den Besuch von Politiker*innen in Grund- und Sekundarschulen:
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- Instruction ministérielle du 2 juin 2014 concernant l’intervention aux lycées et lycées techniques de personnalités du monde politique.
- Instruction ministérielle du 2 juin 2014 concernant l’intervention à l’école fondamentale de personnalités du monde politique.
- Circulaire ministérielle du 26 juin 2014 sur les principes de neutralité dans les écoles.
2 Philipp Mittnik, Georg Lauss und Stefan Schmid-Heher (2018): Was darf Politische Bildung? Eine Handreichung für LehrerInnen für den Unterricht in Politischer Bildung. URL: https://zpb.phwien.ac.at/wp-content/uploads/Was_darf_politische_Bildung_A4.pdf
Überblick über die Materialien
Politiker*innen zu Besuch – Fragen, die man sich stellen sollte
bietet einen Überblick über viele wichtigen Fragen rund um Kontext, Planung, Inhalt, Setting, Ablauf, Vor- und Nachbereitung, sowie Kommunikation des Treffs mit Personen aus der Politik.
Absichtserklärung
Personen aus Gesellschaft und Politik sollten sich einigen Prinzipien bewusst sein, wenn sie in den Schutzraum Schule kommen. Das Formular listet diese auf und kann nach Bedarf und Setting angepasst werden.
Nach dem Besuch – Evaluationsbögen
Alle Beteiligten sollten die Möglichkeit haben, das Treffen Revue passieren zu lassen, um bei der Nachbereitung eventuell nachzusteuern und ggf. ein nächstes Treffen besser zu planen.
Michèle Schilt
Stellvertretende Direktorin des Zentrum fir politesch Bildung. Michèle Schilt ist Sekundarschullehrerin im Fach Geschichte. Sie beschäftigt sich vor allem mit demokratischer Schulkultur und Workshopentwicklung für die formale und non formale politische Bildung.
Ken Nilles
hat Bildungswissenschaften studiert und beschäftigt sich mit politischer Bildung vor allem im non formalen Bereich.
Autor*in(nen):
Michèle Schilt / Ken Nilles (2022)
Titel:
Die Schule öffnen: Politiker*innen und gesellschaftspolitische Initiativen einladen
Erschienen in Ausgabe:
7 / 2022 - Schule öffnen und vernetzen, S. 20-23.