Artikel

Praxisbericht: Medien in der Schule selbst machen

Damit Schüler*innen Medienkompetenz entwickeln, bedarf es neben der Reflexion auch eigener Medienpraxis, in der sie zu Produzent*innen und Gestalter*innen von Medienangeboten werden. Der Praxisbericht stellt die Entwicklung einer einstündigen Fernsehsendung mit Schüler*innen am Lycée de Garçons in Esch vor.

Noch zwei Tage bis zum Abgabetermin. Die Aufregung der Jugendlichen ist sichtlich zu spüren, als man die Räumlichkeiten des Uelzechtkanal betritt. Die Februarsendung soll am ersten Montag des Monats im luxemburgischen Kabelnetz ausgestrahlt werden. Zuständig für die Umsetzung dieser Sendung sind die 31 Schüler*innen der Oberstufe. Der Schwerpunkt der Sendung liegt diesmal im Sportbereich. Andere Themen sind die Eindrücke von einer Dubai-Reise sowie das Portrait des jungen DJ Alessio.

Die Planung der nächsten Sendung

Rückblick: Anfang Januar, Donnerstagmorgen kurz nach 8 Uhr. Die 11 Schüler*innen der 11. Klasse bereden zusammen mit den drei Verantwortlichen Noémie Borges, Gianni Mersch und Christian Welter, welche Beiträge in der nächsten Sendung gezeigt werden sollen. Die zur Auswahl stehenden vielfältigen Themen einer solchen Sendung ändern sich monatlich. Die Schüler*innen entscheiden selbst, was den Zuschauer*innen geboten werden soll. Die Reportagen können politisch, kulturell, informativ oder unterhaltsam sein. Im ersten Jahr des Optionsfachs Uelzechtkanal, also in der 11. Klasse, bestimmen die Verantwortlichen allerdings bei den Entscheidungen noch mit.

Gerade im ersten Trimester liegt der Fokus auf der Vermittlung der technischen Kenntnisse, wie z.B. der Kameraführung, des Vorbereitens eines Interviews und der Schneidetechnik. Idealerweise können die Schüler*innen ab Mitte des zweiten Trimesters selbstständig eine Aufnahme und auch das spätere Schneiden des Beitrags im Alleingang bewältigen. Da monatlich eine Sendung produziert wird, trifft man sich auch schon mal während der Schulferien oder nach Schulschluss, je nach Thema. Eine gute inhaltliche Vorbereitung, der Dreh, technische Fehler minimieren und alles rechtzeitig zum Abgabetermin zurechtschneiden: Das sind die Herausforderungen und die Verantwortung, denen sich die Jugendlichen jeden Monat auf ein Neues stellen.

Wen sie interviewen und was sie fragen, bestimmen die Schüler*innen.
Kein „normaler“ Unterricht

Der Kurs findet nicht in einem gewöhnlichen Klassenraum statt. Das sogenannte Studio wird sowohl für die filmischen Aufnahmen als auch für die Redaktionsversammlung am Anfang jedes Monats aufgesucht. Im Schneideraum stehen den Jugendlichen bis zu sechs Computer zum Fertigstellen der Beiträge zur Verfügung.

Es herrscht eine lockere Stimmung vor. Man spürt, dass der Uelzechtkanal nicht einer klassischen Unterrichtsstunde entspricht. Jeder Teilnehmende kann seine Ideen einbringen und auf diese Weise etwas zur Sendung beitragen. Präzise Vorgaben, wie man das aus den klassischen Unterrichtsfächern kennt, gibt es nicht.

Schülergruppen, die aufeinander abgestimmt sind und gut miteinander auskommen, entstehen. „Belmin, könntest du den Schnitt übernehmen? Deine Schneidetechnik würde gut zu diesem Beitrag passen“, ist in einer der Redaktionsversammlungen zu vernehmen. „Ich möchte, dass Lisa mich als Kamerafrau begleitet“, meint ein anderer Teilnehmer. Schnell erkennen die jungen Menschen, wie sie am besten kooperieren können, was auch einen beträchtlichen Einfluss auf die Qualität der Beiträge hat.

Bei etwas komplizierteren Aufnahmen, wie zum Beispiel bei größeren Sport- oder Kulturereignissen, werden die Schüler*innen oft von einem der Verantwortlichen begleitet. Bietet man ihnen aber an, den Premierminister Xavier Bettel für ein Interview anzusprechen, lautet die Antwort meistens: „Das ist kein Problem. Ich frage ihn.“

In der Regel sind es kleinere technische Probleme, bei denen die jungen Fernsehmacher* innen Hilfe benötigen. Die Kameras gelten als semi-professionelles Material. Um Bild, Ton und Licht richtig einzustellen, bedarf es schon einer gewissen Präzision.

Von YouTubern, Jump-Cuts und Videoclips

Im Allgemeinen hat sich die Fernsehproduktion in den letzten Jahren wenig verändert. Dass die Technik sich aber weiterentwickelt hat, liegt auf der Hand. Es wird nicht mehr auf Kassetten, sondern auf SD-Cards aufgenommen und die Bilder können bearbeitet werden, noch bevor diese ins Schneideprogramm importiert werden. Doch gelten auch heute noch dieselben Regeln, was den Bildaufbau und die Schneidetechnik betrifft. Und genau in dem Bereich können Schwierigkeiten auftauchen. Auffallend ist, dass die Jugendlichen des 21. Jahrhunderts nicht mehr fernsehen wie noch vor einiger Zeit. Das ist bei den Schüler*innen des Uelzechtkanal nicht anders. Die meisten Beiträge werden online oder über mobile Geräte wahrgenommen. YouTuber wie Casey Neistat erreichen mit fast 12 Millionen Abonnenten viele junge Filmemacher*innen oder diejenigen, die es noch werden wollen. Den Uelzechtkanal- Schüler*innen zu erklären, dass ein „Jump Cut“, wie Casey ihn benutzt, in einer Fernsehreportage störend wirkt, kann mitunter zu einer Diskussion unter Schüler*innen und Lehrbeauftragten führen. Aber genau das macht dieses Optionsfach so interessant. Aus diesem konkreten Beispiel geht hervor, dass aus einer Idee nicht eine klassische Reportage entsteht, sondern eine Art Videoclip, der auch mit Jump Cuts funktioniert. Den Schüler*innen werden somit keine kreativen oder gestalterischen Grenzen gesetzt.

Tag X. Gemeinsam werden alle abgeschlossenen Beiträge begutachtet. Einige Fehler fallen den mittlerweile geschulten Augen mancher Schüler*innen auf. In letzter Minute werden so noch rasch die entdeckten Probleme behoben. Als letzte Kontrollinstanz gilt allerdings nicht der Befund eines Chefredakteurs, sondern die Verantwortung obliegt dem ganzen Team. Einige Beiträge fehlen. Die betroffenen Schüler*innen arbeiten fieberhaft an der Fertigstellung, sie sind sich des Zeitdrucks äußerst bewusst. Fertig. Die Sendung ist doch noch rechtzeitig abgeschlossen und kann am Montagabend ausgestrahlt werden.

Von der Planung bis zum Schnitt liegt die Produktion in den Händen der Jugendlichen.
Medienbildung: Mehr als „Fernsehen machen“

Bemerkenswert ist es, die Entwicklung der einzelnen Schüler*innen während der Zeit beim Uelzechtkanal zu beobachten. Nach einem Schuljahr haben die Teilnehmer* innen nicht nur gelernt, eine Kamera zu bedienen, die Bilder zusammenzuschneiden und eine Reportage oder ein Interview sorgfältig vorzubereiten. Aus häufig schüchternen Schüler*innen sind oft Fernsehmoderator*innen geworden, die vor der Kamera überzeugen.

Darüber hinaus fällt auf, dass die Schüler* innen autonomer werden und selbstständig arbeiten. Sie verstehen zudem, welche Verantwortung von ihnen übernommen werden muss, und können diese meistens auch gut managen. Sie lernen eine Gruppe zu koordinieren und über das Filmmedium persönliche Überzeugungen zu übermitteln. Den oft geforderten aufgeklärten und bewussten Umgang mit den Medien kann man kaum besser lernen, als wenn man direkt hinter den Kulissen des Journalismus mitwirkt und selbst Bild und Text zusammensetzt.

Vom Optionsfach zur Berufswahl

Immer wieder wählen Schüler*innen aus dem Lycée de Garçons Esch und dem Uelzechtkanal die Studiengänge Journalismus oder Kommunikation im Ausland.

Einige von ihnen schaffen es dann auch später, sich in Luxemburg in dem Bereich zu etablieren. So gibt es frühere Uelzechtkanal- Mitarbeiter*innen, die sowohl beim Fernsehen als auch bei der geschriebenen Presse oder in der Kommunikation tätig sind. „Teil des Uelzechtkanals gewesen zu sein, hat mich hervorragend auf das vorbereitet, was ich heute mache.“ oder „Die Art und Weise, wie wir im Uelzechtkanal arbeiteten, unterscheidet sich wenig vom wahren Berufsleben“. Dies sind Äußerungen, die die Verantwortlichen erfreulicherweise immer wieder zu Gehör bekommen.

Fest steht: Durch die Arbeit an der eigenen Fernsehsendung erwerben Schüler*innen nicht nur Fertigkeiten in der Mediennutzung und -gestaltung. Sie lernen die Funktionsweisen von Medien in einer Demokratie kennen, reflektieren Medien als vierte Gewalt und werden darin bestärkt, ihre Sichtweise auf die Welt, ihre Positionen und Interessen zu formulieren und in den öffentlichen Diskurs einzubringen.

 





Gianni Mersch

Gianni Mersch arbeitete nach dem Studium 10 Jahre als freiberuflicher Kameramann und Cutter. 2005 trat er als Lehrbeauftragter dem Uelzechtkanal bei und leitet diesen jetzt mit Noémie Borges und Christian Welter.

Autor*in(nen):

Gianni Mersch (2020)

Titel:

Praxisbericht: Medien in der Schule selbst machen

Erschienen in Ausgabe:

04 / 2020 - Demokratiebildung in der digitalisierten Gesellschaft, S. 14-16.

Stichwörter:
Zitiervorschlag:
Gianni Mersch (2020) : Praxisbericht: Medien in der Schule selbst machen, in: mateneen 04 / 2020 - Demokratiebildung in der digitalisierten Gesellschaft , S. 14-16. Online unter: https://doi.org/10.25353/ubtr-made-87ab-39c5