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Schule öffnen und vernetzen
Schule bereitet junge Menschen aufs gesellschaftliche Leben vor. Kooperationen zwischen Schulen und außerschulischen Partner*innen können dabei eine wichtige Rolle einnehmen: Durch sie werden gesellschaftliche und politische Prozesse, Akteur*innen, Kontroversen und Orte des Engagements in ihren vielfältigen Facetten sicht- und greifbarer.
Die Kooperation zwischen Schulen und außerschulischen Partner*innen ist weit verbreitet; die Möglichkeiten der inhaltlichen Zusammenarbeit und Formate sind vielfältig. Sie können sich in ihrer Ausgestaltung, aber auch in ihrer Dauer deutlich unterscheiden. So gehören zur Öffnung von Schule sowohl die einstündige Debatte mit den eingeladenen Politiker*innen der Gemeinde als auch die jahrzehntelange Kooperation mit der Bildungseinrichtung auf dem benachbarten Kontinent. Geprägt ist die Kooperation in allen Fällen durch eine Zusammenarbeit zwischen Schule bzw. einzelnen Klassen oder Schüler*innengruppen mit mindestens einer weiteren Organisation, Institution oder einem/ einer gesellschaftlichen Akteur*in.
Gesellschaft Raum und Zeit einräumen
Vorstellungen und Wahrnehmungen vom Konstrukt Gesellschaft scheinen in ihrer Anzahl unendlich. Ihr werden Attribute zugeschrieben, ihre Verfasstheit und Gestaltung wird alltäglich diskutiert. Schulkooperationen können Lernenden solche Diskurse zugänglicher machen. Durch die Zusammenarbeit können Schüler*innen gesellschaftliche Fragen und Prozesse dann nicht nur „live“ miterleben, sie haben auch die Gelegenheit, die Komplexität und Kontroversität einer Gesellschaft ein stückweit eigenständig zu entdecken. Anstatt Gesellschaftsbilder bspw. aus Schulbüchern zu rezipieren, lernen Kinder und Jugendliche inmitten der Gesellschaft von und mit ihr. Sie entwickeln dabei eigene Vorstellungen von Gesellschaft weiter und schärfen Handlungsstrategien, um ihre Lebenswelt aktiv mitzugestalten.
Schulkooperationen können hierzu einen Beitrag leisten, weil sie die scheinbaren Grenzen zwischen Gesellschaft und dem Schonraum der Institution Schule aufbrechen können. Ressourcen und Raum für Schulkooperationen stellen dabei Formate bereit, die in vielen Schulen bereits fest etabliert sind. So bieten Demokratie- und Projekttage, Adventsaktionen und Schulfeste, aber auch im Curriculum verankerte Praktika Kooperationsgelegenheiten. Zusätzlich bietet sich Lernenden in der Institution Schule die Chance, noch unbekannte Formate der Kooperation auszuprobieren. Nicht immer bekannt sind beispielsweise Schüler*innenfirmen in ihren vielfältigen Ausführungen, die auch die Teilnahme an Wettbewerben inkludieren und wirtschaftlich-politisches Lernen stärken können. Neue Erfahrungen bietet in vielen Fällen sowohl das Lernen durch Engagement bzw. Service Learning als auch das unterrichtsunabhängige Ehrenamt vor Ort, in denen Schüler*innen sich vor allem in ihrem direkten Umfeld engagieren. Im Fall von transnationalen Schulkooperationen kann sich der Organisationsaufwand bei der Etablierung einer Kooperation zwar vergleichsweise erhöhen. Hier stehen jedoch Programme und Organisationen bereit, um deren organisatorische und finanzielle Unterstützung Schulen bitten können.
Ausgangspunkt für ein Gespräch über Formen gesellschaftlicher Zusammenarbeit kann in einem ersten Schritt die direkte Lebenswelt sein. In vielen Fällen engagieren sich Kinder und Jugendliche sowie Schulpersonal in ihrer Freizeit bereits in vielfältiger Art und Weise in Gesellschaft und Demokratie und arbeiten dabei in und mit vielen Organisationen zusammen. Wo besteht bspw. eine Mitgliedschaft in einem Verein? Wo wird ehrenamtlich mitangepackt? An welcher Stelle werden bereits Interessen vertreten und gesellschaftliche Fragen aufgeworfen? Und wie ist die Person überhaupt auf die Idee gekommen, mitzumachen? Dabei eignen sich auch das Kümmern um Hunde aus dem Tierheim, das Spielen eines Instruments im Musikverein, das Mitdiskutieren auf der Vereinssitzung und das wöchentliche, mitorganisierte Training auf dem Fußballplatz zur Thematisierung von Aushandlungsprozessen und gesellschaftlichen Engagement. Diese Erlebnisse geben Anlass, das Politische in der eigenen Lebenswelt zu diskutieren. Denn inwiefern ist das Engagement im Musikverein überhaupt politisch? Eine solche Debatte schärft das Bewusstsein, was Politik im eigenen Lebensraum auszeichnet, und ist damit auch eine wertvolle Gelegenheit, das sogenannte Brückenproblem der politischen Bildung anzugehen: Im Fachunterricht reflektiert, bieten sich lebensnahe, schüler*innenorientierte Anknüpfungspunkte für politische (Unterrichts-)Gegenstände.1 Kinder und Jugendliche können dabei viele, in der Schule ggf. noch unentdeckte Stärken aufzeigen und erfahren, wie viel politische Handlungskompetenz sie bereits besitzen. Während der Durchführung von Schulkooperationen öffnen sich Schule und Unterricht damit in mehrfacher Hinsicht. So bleibt es einerseits oft nicht beim gewohnten Format einer Unterrichtsstunde, andererseits erhalten Kinder und Jugendliche die Chance, aus ihrer gewohnten Schüler*innenrolle auszubrechen und in der Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Akteur*innen in andere Hierarchieverständnisse einzutauchen. Auch das Verhältnis in der Lerngruppe kann eine andere Dynamik erhalten, wenn nun die Mitarbeiter* innen des Projekts „Biodiversität in unserer Stadt“ statt die Schüler*innen der Klasse 7b miteinander und mit politischen oder gesellschaftlichen Akteur*innen um die Projektausführung diskutieren. Der Kontakt mit außerschulischen Akteur*innen bzw. die organisierte Kooperation bietet Schüler*innen Gelegenheiten, ihre Selbstwirksamkeit und ihre politische Handlungsfähigkeit zu stärken und kann in realen politischen Handlungen münden.2,3
Die passende Wahl: Kooperationsformen und -partner*innen
Sich für eine Kooperationsform zu entscheiden und die Zusammenarbeit zu organisieren, macht es notwendig, rechtliche Aspekte mitzudenken. Inwieweit sind Schüler*innen und bspw. Zeitzeug* innen als Gäste der Schule im Falle eines Unfalls versichert? Von welcher Seite sind noch Genehmigungen für die zweiwöchige Fahrt ins Ausland einzuholen? Schulen verfügen hier über ein institutionelles Gedächtnis. So können gemachte Erfahrungen ausgetauscht, bereits existente Vordrucke bereitgestellt und bei der letzten Kooperation zusammengetragene Regularien rechtzeitig kommuniziert werden. Das erleichtert nicht nur die Arbeit, sondern sichert Lehrpersonen und Schulpersonal rechtlich wie organisatorisch ab.
Sowohl im Vorfeld als auch während der Kooperation gilt es zudem, die schulischen Interessen zu verdeutlichen. So ist die Mitarbeit von Schüler*innen in der Gemeinde kostenlos, aber es ist keine unbezahlte Arbeit im Sinne eines Serviceangebots. Mitgestaltung bedeutet, Verantwortung mittragen zu dürfen und mitzuentscheiden. Dabei steht die Auseinandersetzung mit der Lebenswelt der Schüler*innen im Mittelpunkt. So kann die Lärmschutzwand der Gemeinde von Jugendlichen bemalt werden, wenn diese sich an deren Aussehen stören. Sie können dann aber auch, nach ihrem Einbezug in die finanziellen Ressourcen, über Skizzen, Schriftzüge oder über Farben mitbestimmen – in einem Aushandlungsprozess mit Verwaltung, Entscheidungsträger*innen und Bewohner* innen der Gemeinde. Scheitert die Umsetzung an divergierenden Interessen, dann ist das ein möglicher Ausgang von Zusammenarbeit und eine Lerngelegenheit über die Schwierigkeit, sich einig zu werden.
Die Kooperation mit der Institution Schule macht es zudem umso notwendiger, genau hinzuschauen: Wer steht hinter den Ehrenämtler*innen, hinter dem Verband, der die Angebote anbietet? Welche Werte und Einstellungen werden hier kommuniziert? Was ist das für eine Person, die ich einlade? Beinhaltet der Workshop des eingeladenen Anbieters vor allem Eigenwerbung? Der kritische Blick ist wichtig, um Schüler* innen vor einer Überwältigung durch die Partner*innen zu schützen und auch dem Kontroversgebot des Beutelsbacher Konsens gerecht zu werden.
So ist es für die eigene Urteilsbildung unumgänglich, dass gesellschaftliche Fragestellungen mehrperspektivisch betrachtet werden. Das ist einerseits bei Einladungen, die gegenüber Parteimitgliedern unterschiedlicher Parteien ausgesprochen werden sollten, zu beachten. Andererseits sollten aber auch bspw. unterschiedliche gesellschaftliche Intiativen eingeladen werden, wenn über gesellschaftliche Herausforderungen diskutiert wird. Dadurch wird der Blick vielfältiger und vollständiger, vor allem aber wird sichtbar, dass öffentliche Schlussfolgerungen und Einschätzungen der einen Einrichtung nicht der einer anderen Organisation entsprechen müssen – es gibt also nicht die richtige Antwort von den Initiativen, sondern es bedarf einer Aushandlung und der Anerkennung eines gesellschaftlichen Diskurses.
Es ist außerdem möglich, dass außerschulische Partner*innen auf eine Bezahlung angewiesen sind. Ihre Ressourcen und ihr Handlungsspielraum sind durch die vorhandenen Mittel begrenzt. Doch auch bezahlt sollte das Angebot von Kooperationspartner*innen nicht als einseitige Serviceleistung wahrgenommen werden. Einerseits gestaltet auch die Lerngruppe, beginnend mit einer versierten Vorbereitung, mit, andererseits sollten von Schulseite gewünschte Adaptionen des Angebots an Gruppeninteressen in den meisten Fällen möglich sein – es handelt sich ja um eine Zusammenarbeit, nicht um das Füllen von Unterrichtsstunden durch externe Anbieter*innen. Um aus dem Angebot die geeigneten Partner*innen auswählen zu können, sollte daher zuvor genau überlegt werden: Welche Ressourcen haben wir? Was möchten wir als Lerngruppe und Schule mit der Zusammenarbeit bezwecken? Welche Interessen kommunizieren die Träger*innen der Angebote? Welches Verständnis von Gesellschaft und Politik lässt sich dabei rekonstruieren? Was bringen wir ein; was die andere Seite? Das sollte auch in der Reflexion der Kooperation beachtet werden: Wie wurde die Zusammenarbeit innerhalb der Lerngruppe erlebt? Wie zielführend war die eigene Vorbereitung? Inwiefern hat es sich tatsächlich um eine Zusammenarbeit gehandelt? Bestand Raum für Mitgestaltung? Unter welchen Bedingungen würden wir die Kooperation anderen Klassen weiterempfehlen?
Zur Klärung, was Schüler*innen, Eltern und Schulpersonal sich von einer angestrebten Kooperation erhoffen, gehört auch, den Umfang und die Dauer der Zusammenarbeit mitzudenken. Für einige Anliegen sind singuläre Angebote und Einladungen an Externe passend. Schulen zehren aber auch von langfristigen Kooperationen, bei denen sich durch die Routine eine Arbeitserleichterung einstellen kann. Erfolgt bspw. immer in der Abschlussklasse der organisierte Gang zu verschiedenen technischen Werkstätten, haben sowohl die Mitarbeiter*innen vor Ort als auch die Lehrpersonen und die Schulleitung bereits Erfahrungen mit möglichen Interessen, Stolpersteinen und Gelingensbedingungen. Es können sich dann auch, über Eltern oder Schüler*innen, Empfehlungen herumsprechen, die die Vorbereitung auf die Exkursion verbessern und neue Chancen bereitstellen – ggf. rechnen die Schüler*innen bereits Schuljahre vor dem eigentlichen Stattfinden fest mit der Exkursion. Hier betrachtete Berufsmöglichkeiten sind dann schulweit im Blick. Zudem kann in einem solchen Fall auch die Institution Schule durch Reflexion und Evaluation kontinuierlich dazulernen und ihr Angebot dementsprechend modifizieren: Was finden die Schüler*innen dieses Jahrgangs gut/schlecht und mit welcher Begründung? Welchen Bedarf äußern sie außerdem? Was hat ihnen beim Besuch gefehlt? Worauf ist nächstes Jahr zu achten?
Der ganzheitliche Blick auf das Angebot ist wichtig
Das Anfertigen einer Schulzeitpartitur, in der Schulkooperationen bewusst mitgedacht werden, schafft über die bestehende Planung einen Überblick und macht wiederum Kooperationsanlässe mit außerschulischen Partner*innen sichtbar. Demokratisches Lernen kann hiermit sinnstiftend und strategisch aufeinander aufgebaut und verbindlich eingeplant werden. Eine Partitur bietet den Lehrpersonen einer Lerngruppe, aber auch ihren Eltern und Schüler*innen eine gemeinsame Arbeits- und Reflexionsgrundlage für das ganze Schuljahr.4
Auch innerhalb schulischer Gremien wie der Schüler*innenvertretung gilt es, das Angebot außerschulischer Kooperationen in seiner Gesamtheit in den Blick zu nehmen. Erleben Schüler*innen im Laufe ihrer Schullaufbahn immer wieder alters- und adressat*innengerechte Schulöffnungen? Oder sind es ganz singuläre Erfahrungen, deren Ergebnisse schnell verpuffen? Besteht eine niedrigschwellige Möglichkeit, eigene Kooperationsvorschläge zu machen? Inwiefern wird diese Möglichkeit genutzt? An welcher Stelle, zu welcher Gelegenheit ließe sich hierauf nochmal verweisen? Bietet sich auch für Eltern oder das Schulpersonal die Chance, Interessen, Erfahrungen und Angebote einzubringen? Das Angebot, außerhalb der eigenen Lernund Altersgruppe zusammen zu arbeiten und hier von- und miteinander zu lernen, gibt noch einmal die Gelegenheit, sich auch in bisher unbekannten Zusammensetzungen Aushandlungsprozessen zu stellen und Selbstwirksamkeitserfahrungen zu sammeln. Werden zusätzlich sowohl kontinuierliche, regelmäßige wie aktionsabhängige und kurzfristige Projekte zur Auswahl gestellt, kann das Lernende dabei unterstützen, sich in ganz unterschiedlichen Formaten und Themen auszuprobieren. Aus diesem Grund sollte außerdem darauf geachtet werden, dass das Angebot unterschiedliche Bereiche und Interessen abdeckt und dass Schüler*innen immer wieder neue Erfahrungen machen und reflektieren können.
Werden diese Aspekte in regelmäßigen Abständen in der Schulgemeinschaft diskutiert, können die Kooperationen unter Verantwortungsübernahme der Lernenden kontinuierlich evaluiert und weiterentwickelt werden. Schüler*innen wird hier die Gelegenheit geboten, im Organisationsprozess ihre Interessen und eigene Gelingensbedingungen mit ganz unterschiedlichen Partner*innen auszuhandeln, Angebote und Formen der Zusammenarbeit kritisch zu hinterfragen und wahrgenommene gesellschaftliche Realität zu diskutieren.
1 Vgl. Andreas Petrik (2012): Der heimliche politikdidaktische Kanon. In: Ingo Juchler (Hg.): Unterrichtsleitbilder in der politischen Bildung. Schwalbach/Ts.: Wochenschau, S. 72.
2 Vgl. Alexander Wohnig (2018): Demokratiebildung durch politische Aktionen in der Kooperation von Schulen und außerschulischer politischer Bildung. In: Steve Kenner und Dirk Lange (Hg.): Citizenship Education. Konzepte, Anregungen und Ideen zur Demokratiebildung. Schwalbach/Ts.: Wochenschau, S. 279; auch unter Verweis auf:
3 Lu Dascheng u. a. (2017): Erfahrungsbericht der Kleingruppe „Politikverdrossenheit“ aus dem Projekt „Politische Partizipation als Ziel der Politischen Bildung“; Schüler*innen fördern höheren Stellenwert schulischer politischer Bildung! In: polis Heft 1, Jahrgang 21, S. 29.
4 Vgl. Gotthilf Gerhard Hiller (1980): Ebenen der Unterrichtsvorbereitung. In: Bijan Adl-Amini und Rudolf Künzli (Hg.): Didaktische Modelle und Unterrichtsplanung. München: Juventa, S. 119-141.
Charlotte Keuler
lehrt und forscht an der Universität Trier zu demokratischer Schulentwicklung, politischer Bildung in der Großregion und im internationalen Vergleich. Sie ist u. a. Mitarbeiterin des transnationalen Projekts Sesam’GR.
Autor*in(nen):
Charlotte Keuler (2022)
Titel:
Schule öffnen und vernetzen
Erschienen in Ausgabe:
7 / 2022 - Schule öffnen und vernetzen, S. 5-9.