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Potentialanalyse „Demokratische Schulkultur“
Wie erleben Schüler*innen die vorhandenen demokratischen Mitgestaltungsmöglichkeiten im Unterricht? Welche Bereitschaft, den Entwicklungsprozess mitzutragen, gibt es in der Schulgemeinschaft? Welche Widerstände gilt es zu beachten und wo liegen bisher ungenutzte Potentiale und Ideen für die Innovation von Schule und Unterricht?
Funktion einer demokratiepädagogischen Potentialanalyse ist es, die Wahrnehmung der gegebenen Partizipationsmöglichkeiten auf den unterschiedlichen schulischen und unterrichtlichen Handlungsebenen in Schule und Unterricht aus der Sicht der schulischen Akteure zu erheben und deren Einschätzungen, Partizipationsbedürfnisse und Bereitschaft zur demokratischen Schulentwicklung zu eruieren. Ziel ist es, die Stärken, Schwächen und Ressourcen für eine demokratische Schulkultur kennenzulernen und damit Grundlagen und Perspektiven für die eigenverantwortliche Entwicklung der Schule zu schaffen. Allen Beteiligten gibt eine Potentialanalyse die Möglichkeit, ihre Interessen, Befürchtungen und Kritik einzubringen. Die Rückmeldungen und die unterschiedlichen Einschätzungen von Schulpersonal, Eltern und Schülerschaft geben Hinweise, wo bei einzelnen Gruppen der Schuh drückt, wo die Wahrnehmungen auseinandergehen und versteckte Konflikte, aber auch Ressourcen liegen.
Damit Schulentwicklung den tatsächlichen Bedürfnissen und Erwartungen der Schulangehörigen gerecht werden kann, ist eine solch systematische Bestandsaufnahme und Analyse des Ist-Zustands eine entscheidende Voraussetzung.1 Die Befragung von Schülern, Eltern, Lehrkräften und anderen schulischen Mitarbeitenden erhebt spezifische Sichtweisen, Expertisen und Bedürfnisse, die sonst Gefahr laufen, übersehen zu werden. Als Ausgangspunkt für eine anstehende Schulentwicklung bietet die Potentialanalyse nicht nur einen Überblick über den aktuellen Stand und mögliche Herausforderungen für den anvisierten Reformprozess. Die gemeinsame Diskussion der Umfrageergebnisse in Fokusgruppen und den Gremien hilft den Beteiligten, die Sichtweise der anderen schulischen Gruppen kennenzulernen und gemeinsam Ideen für die Verbesserung der demokratischen Schulkultur zu entwickeln.
Demokratische Schulentwicklung kann auf diese Weise von Beginn an als gemeinsam verantwortetes, gestaltbares und partizipatives Vorhaben wahrgenommen werden.Im Rahmen eines Pilotprojekts wurden vom Zentrum für politische Bildung und der Universität Trier Fragebögen für eine entsprechende Potentialanalyse speziell für Luxemburger Schulen konzipiert und erprobt. Auf der Online-Seite der Zeitschrift mateneen stehen die unterschiedlichen Erhebungsinstrumente für die verschiedenen schulischen Gruppen in französischer und deutscher Sprache zu Verfügung. Die Befragung basiert auf demokratiepädagogischen Konzeptionen und umfasst die vier Themenschwerpunkte „Schule und Schulleben“, „Institutionalisierte Partizipation“, „Förderangebote und außerschulische Kooperationen“ sowie „Klasse und Unterricht“. Schulen, die eine Potentialanalyse durchführen möchten, können die Fragen auf die spezifischen Anforderungen ihrer Schulgemeinschaft anpassen und ergänzen. Die Umfrage kann analog und digital durchgeführt werden. Unterstützung bietet das Zentrum fir politesch Bildung. Die Ergebnisse der Potentialanalyse sollten in der Schulgemeinschaft und in einzelnen Fokusgruppen diskutiert und bewertet werden. Sie bieten Anlass, Stärken, Schwächen, Ressourcen und Entwicklungsbedarfe auszumachen und konkrete Handlungsziele und Entwicklungsvorhaben zu bestimmen.2
1 Vgl. Detlev Lindau-Bank (2012): Schulentwicklungsprozesse und externe Beratung/Begleitung. In: Claus G. Buhren und Hans-Günter Rolff: Handbuch Schulentwicklung und Schulentwicklungsberatung. Weinheim: Beltz, S. 40–70, hier S. 42.
2 Vgl. Martina Diedrich (2008): Demokratische Schulkultur. Messung und Effekte. Münster: Waxmann.
„Die Anstrengung lohnt sich“
Interview zur demokratischen Schulentwicklung mit Roger Roth – Direktor des Lycée Nic Biever in Dudelange
1. Herr Roth, das Lycée Nic-Biever hat letztes Jahr die Potentialanalyse durchgeführt. Was können Sie von den Erfahrungen berichten?
Die Potentialanalyse wurde im Rahmen der Ausarbeitung des sogenannten PDS (Schulentwicklungsplan) durchgeführt. Der Ausbau der Beteiligungsstrukturen an der Schule stellt hier eine der drei Säulen des PDS dar. Auf der einen Seite wollten wir uns die Meinungen aller Beteiligten (hier Schüler*innen, Schulpersonal, Eltern) dazu einholen sowie die Motivation und Bereitschaft auf der anderen Seite abfragen, die bei der Einführung solcher Strukturen an der Schule benötigt wird.
2. Umfragen sind generell mit einigem Aufwand verbunden. Haben Sie das auch so empfunden?
Natürlich stellt die Bewerkstelligung einer breit angelegten Umfrage einen großen Mehraufwand im regulären Schulalltag dar, wobei wir bei der Umsetzung jedoch viel Unterstützung erhielten (z.B. vom ZpB und der Universität Trier). Außerdem darf man auch nicht außer Acht lassen, dass wir hier von partizipativen Strukturen an einer Schule sprechen. Und wenn die Einführung solcher Strukturen umgesetzt wird, ohne vorher diejenigen zu fragen, die davon „betroffen“ sind, wäre das ein wenig kontradiktorisch zu den Ideen, die eigentlich vermittelt werden sollen.
Leitfragen
Fokusgruppengespräche
Folgende Fragen eignen sich als Gesprächsimpulse für die Auswertung und Interpretation der Umfrageergebnisse in Gruppendiskussionen:
- Welche Ergebnisse der Potentialanalyse haben Sie überrascht? Was hat Sie verwundert/ geärgert/ gefreut?
- Wo fallen die Antworten zu einzelnen Fragen besonders deutlich auseinander? Woran könnte das liegen?
- Wo lassen sich in den Einschätzungen zwischen Lehrpersonen, Schüler*innen, Schulpersonal und Eltern besondere Widersprüche oder Unterschiede feststellen? Wie können diese erklärt werden?
- Wie bewerten Sie negative Einschätzungen oder Kritik? Wie könnte diesen begegnet werden? Auf welche Schwächen, die bisher nicht ausreichend beachtet wurden, machen sie aufmerksam?
- Wo sehen Sie auf Grundlage der Potentialanalyse besondere Stärken/ Schwächen unserer Schule?
- Wo machen Sie besondere Ressourcen/ Herausforderungen/ Handlungsbedarf aus?
- Was sind Ihres Erachtens Schlüsse, die aus der Potentialanalyse gezogen werden sollten? Welche Vorhaben und Ziele sollte sich die Schulgmeinschaft für die anstehende demokratische Schulentwicklung setzen?
Checkliste
Potenzialanalyse
Ziel
Repräsentative Erhebung von Erfahrungen, Kritik und Ideen der Schulgemeinschaft als Ausgangspunkt eines demokratiepädagogischen Schulentwicklungsprozesses
Zielgruppe
Spezifische Fragebögen für alle Statusgruppen
Vorgehen
- Schulspezifische Konzeption bzw. Anpassung der Umfrage durch die Steuergruppe und die Direktion
- Information der Schulgemeinschaft über die geplante Schulentwicklung und die Potentialanalyse durch die Direktion
- Informationsschreiben und Ausgabe der Fragebögen bzw. Zugangsdaten zur Umfrage an Eltern, Schulpersonal und Schülerschaft
- Auswertung und Aufbereitung der Ergebnisse, ggf. durch externe Expert*innen
- Diskussion und Interpretation der Ergebnisse in einzelnen Fokusgruppen und schulischen Gremien
- Veröffentlichung der Potentialanalyse und Vorschläge für daraus folgende Schulentwicklungsziele durch die Schulleitung
- Diskussion und Planung konkreter Vorhaben für die demokratische Schulentwicklung in der Schulgemeinschaft
Tipp
Das Zentrum fir politesch Bildung bietet Unterstützung bei der Konzeption, Durchführung und Auswertung der Potentialanalysen an.
Prof. Dr. Matthias Busch
ist Professor für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften. Er lehrt und forscht u. a. zur Demokratiepädagogik, Europabildung und Geschichte der politischen Bildung.
Autor*in(nen):
Prof. Dr. Matthias Busch (2018)
Titel:
Potentialanalyse „Demokratische Schulkultur“
Erschienen in Ausgabe:
01 / 2018 - Demokratiepädagogische Schulentwicklung, S. 13-19.